Es ist ein trüber Tag heute! Dunkel, wolkig, kalt, neblig und windig. Diese ganze Sache mit „dem Wetter“ ist so erstaunlich. Wir nennen es „Wetter“, aber was ist es wirklich? Wind, Regen, Wolken, die langsam vorbeiziehen. Nicht die Worte, mit denen man es benennt, sonder nur das Dunkeln, Blasen, Zerstieben, Nass-Werden, und dann das Aufleuchten, wenn blauer Himmel mitten in der Dunkelheit auftaucht, und Sonnenstrahlen auf nasse Gräser und Blätter scheinen.

Nicht mehr lange und dann werden da Frost, Schnee und Eisflächen sein. Und dann wird es wieder wärmer, alles schmilzt, überall sickerndes Wasser. Die schmutzige Strasse funkelt an frühen Frühjahrstagen von lauter Strömen aus nassem Silber. So – was ist „Wetter“ anderes als die andauernde Veränderung der Bedingungen auf dieser Erde und all die menschlichen Gedanken, Gefühle und Unternehmungen, die davon beeinflusst sind? Mögen und Nicht-Mögen, Depression und Stolz, Aufbau und Zerstörung. Ein andauernder, sich immer verändernder Strom von Ereignissen, der nirgends verweilt. Es gibt keine Entität „Wetter“, außer im darüber Denken und Sprechen.

Gibt es so eine Entität wie das „Ich“ oder „Selbst“? Oder ist das gerade so etwas wie das „Wetter“ – ein immerwährender, immer sich verändernder Strom von Ideen, Bildern, Gedanken und Projektionen, Mögen und Nicht-Mögen, Aufbauen und Zerstörung? Etwas, das die Gedanken als „Ich“, „Mein“, „Toni“ benennen und damit etwas aufrechterhalten und festigen, das eigentlich dahinschwindet?

Was bin ich wirklich, in Wahrheit, und was denke und glaube ich zu sein? Sind wir interessiert, dieses erstaunliche Ich zu untersuchen, von Moment zu Moment? Ist das möglicherweise die Essenz der Arbeit im Retreat? Uns sorgfältig zu erforschen, jenseits des Friedens und der Stille, die wir suchen und vielleicht finden. Sich klar werden über dieses tiefe Gefühl der Trennung, das wir „Ich“ und „andere Menschen“ nennen, ohne das Bedürfnis, es zu verdammen oder zu überwinden.

Die meisten Menschen sind sich vollständig sicher, dass ich „Ich“ bin, und dass „Ich“ dieser Körper, dieser Geist, das Wissen und Gefühl über mich selbst ist, von dem so offensichtlich ist, dass es von anderen getrennt ist. Die Sprache, in der wir zu uns selbst und anderen sprechen, impliziert diese Trennung zwischen Ich und Du ständig. […] Trotzdem, die Schwierigkeiten sind nicht unüberwindbar. Ganzheit, wahres Sein, ist immer da, wie die Sonne hinter den Wolken. Das Tageslicht ist da, auch wenn es von den Wolken verdeckt ist.

Toni Packer

Toni Packer

Können wir anfangen zu begreifen, dass wir in Konzepten, in abstrakten Ideen über uns leben? Dass wir selten wirklich direkt in Kontakt mit dem sind, was gerade aktuell passiert? Können wir begreifen, dass Gedanken über mein Selbst – Ich bin gut oder schlecht, Ich werde gemocht oder nicht gemocht – nichts anderes sind als Gedanken, und dass diese Gedanken uns nicht sagen, was wir in Wahrheit sind?

Ein Gedanke ist ein Gedanke, und er ruft ständig körperliche Reaktionen hervor, Freude und Schmerzen im gesamten Körper-Geist. Die Reaktionen des Körpers schaffen neue Gedanken und Gefühle über mein Selbst „Ich leide“, „Ich bin glücklich“, „Ich bin nicht gut“. Rückmeldungen, die bestätigen, dass ich das bin, was verletzt wurde, oder dass ich mich gut fühle, oder dass ich mich verteidigen muss, oder mehr Bestätigung und Liebe von anderen bekommen muss. Wenn wir uns in unseren täglichen Beziehungen schützen, dann schützen wir uns nicht vor Steinen, die auf uns zufliegen, oder vor Bomben. Wir gehen vor Worten in Deckung, vor Gesten, vor Tonlagen in Stimmen und vor Anspielungen.

Gerade jetzt haben wir Worte gesprochen: “ … wir beschützen uns … wir gehen in Deckung“. Wenn wir diese übliche Sprache benutzen, schafft das andauernd Bestätigung, dass da wirklich jemand reales ist, der beschützt, und jemand reales, der Schutz benötigt. Ist da wirklich jemand, der vor Worten oder Gesten geschützt werden muss, oder leben wir in Ideen und Geschichten über das Ich und Du, und all das passiert auf einer Bühne mit einem ständig sich fortsetzenden Film über das Drama unserer selbst?

Größte Sorgfalt und Aufmerksamkeit sind nötig, um das innere Drama halbwegs so zu sehen und es braucht Unparteilichkeit, um es so auszudrücken, wie es gesehen wird. Wenn wir sagen: „das hat mir gute Gefühle gemacht“ oder „das hat mich verletzt“, bedeutet es die innere Stärkung oder das Pieksen und Bremsen unserer fortlaufenden Ich-Geschichte. Das Verstärken oder Stören unserer Ich-Geschichte ist stets von freudigen Energien oder schmerzvollen Gefühlen in unserem Körper begleitet. […]

Kann da etwas Gewahrsein sein, wenn Verteidigung beginnt, Angst und Ärger aufsteigen oder wir uns zurückziehen, alles begleitet von einer durchgehenden persönlichen Geschichte? Kann das ganze Drama mehr und mehr durchschaut werden? Und während es durchschaut wird, kann es durch und durch hinterfragt werden? Was ist das, das beschützt wird? Was ist das, was denkt, verletzt zu werden? Was ist das Ich?

Es ist so erstaunlich. Ein Funke Gewahrsein erhellt ein gesprochenes Wort, das Freude oder Schmerz überall entstehen lässt. Kann dieser Zusammenhang klar werden? Die Unmittelbarkeit darin, und keine Ich-Entität, die es leitet, auch wenn wir glauben, dass wir das alles tun. Aber wir sagen auch, dass wir das nicht tun wollen. Worte und Reaktionen verlaufen auf gut geschmierten Bahnen und Verbindungen. Ein Gedanke an Verlust kommt auf und der Solar Plexus reagiert mit Schmerz. Phantasien von Liebe und Zärtlichkeit tauchen auf und ein Ozean von Freude entsteht.

Wer macht das? Die Gedanken sagen: „Ich mache das!“ Wem geschieht das? Die Gedanken sagen: „Mir natürlich!“ Aber, wo und was ist dieses Ich, dieses Selbst, unabhängig von all diesen Gedanken und Gefühlen, dem Herzklopfen, den schmerzenden und freudigen Energien, die durch den Organismus kreisen?

Wer könnte so etwas mit so einer erstaunlichen Geschwindigkeit und Präzision tun? Das Denken über das Ich und das Verfolgen der physiologischen Reaktionen braucht Zeit, aber das Gewahrsein jetzt kann das gesamte Drama augenblicklich erhellen. Alles passiert von selbst. Niemand leitet diese Show! […]

Nachdem ich Mitglied im Zen Center wurde und mich mit spiritueller Praxis beschäftigte, wurde mir eines Tages bewusst, dass ich seit langem niemandem mehr über meine Vergangenheit erzählt hatte. Und jetzt, wenn jemand auf das Thema kommt – manchmal möchten Journalisten fragen und darüber sprechen – dann fühlt es sich wie eine Belästigung und Mühe an. Warum solch alte Sachen erforschen? Ich möchte über das Zuhören sprechen, den Wind, den Vögeln zuhören. (Gelächter) Hört Ihr Interviewer auch zu? Oder seid Ihr mehr an Identitäten und Geschichten interessiert? […]

So, was bin ich und was seid ihr – was sind wir außer Bildern, Kleidung und ohne unser wahres Sein zu verbergen? Es ist nicht vorstellbar – oder? Und jetzt, ist da der Klang von blasendem Wind, geschüttelten Bäumen, krächzende Krähen, brechendes Holz, Atem, der fließt, ohne dass irgendwelche Gedanken nötig sind. Gedanken heften sich an das, was aktuell gerade passiert und überdecken es, und in dieser verhafteten Welt verbringen wir den größten Teil unseres Lebens.

Und jetzt, so hin und wieder, ob man spirituelle Arbeit macht oder nicht, meditiert oder nicht, scheint die reale Welt wundersam aus allem hervor. Was ist es, wenn Worte ausbleiben? Wenn da kein Wissen ist? Wenn da kein Zuhörer ist und doch Zuhören, Gewahrsein, ohne alle Trennung?

Mir fällt ein Moment während eines Besuchs bei meinen Eltern in der Schweiz ein. Ich hatte immer eine schwierige Beziehung zu meiner Mutter gehabt. Ich war sehr ängstlich ihr gegenüber. Sie war eine leidenschaftliche Frau, mit sehr viel Ärger. Aber auch Liebe. Einmal während dieses Besuchs sah ich sie im Esszimmer mir gegenüber stehen. Sie stand einfach da und aus keinem nennbaren Grund und ohne Ursache sah ich sie plötzlich ohne Vergangenheit. Da war kein Bild von ihr, und auch keine Idee, was sie in mir sah. All das war verschwunden. Und es war nichts da außer reiner Liebe zu dieser Frau. So eine Schönheit schien aus ihr. Und unsere Beziehung hat sich verändert, da war eine neue Nähe. Es ist einfach passiert.

Jemand sagte, dass es Kummer bereitet, ein zerbrochenes Bild zu sehen. Aber das Zerbrechen des Selbst-Bildes bereitet kein Leid. Wirklich zu sehen, dass dieses „Ich“ nichts ist außer einem gewohnheitsmäßigen geistigen Konstrukt, ist so befreiend, wie man es sich nie hätte vorstellen können.

Quelle: Toni Packer „Was ist das Ich?“, mit kleinen Übersetzungsänderungen aus dem Original „What is the Me?“