Ingo Zacharias

Freiheit des Jetzt

Vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität

Die Identifikation mit den Gedanken lösen

Hier findest du alle meine Facebook-Beiträge im Februar 2021.

Das, was du dein Leben nennst, besteht aus einem unablässigen Strom von Gedanken, inneren Bildern, Gefühlen, Körperempfindungen und Sinneswahrnehmungen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Eine Körperempfindung taucht auf. Und wird ersetzt durch eine Sinneswahrnehmung. Ein Gedanke poppt auf. Und wird abgelöst durch ein Gefühl. Ein inneres Bild erscheint. Und wird begleitet von einem neuen Gedanken. Eine weitere Sinneswahrnehmung schließt sich an. Und eine neue Körperempfindung ist da … und so weiter, und so weiter.

Gleichzeitig hast du nicht das Gefühl, in diesem ständigen Kommen und Gehen selber zu kommen und zu gehen. Wenn ein Gedanke kommt, kommst du nicht mit ihm. Wenn ein Gedanke geht, gehst du nicht mit ihm. Wenn ein inneres Bild auftaucht, tauchst du nicht mit ihm auf. Und wenn ein inneres Bild verschwindet, verschwindest du nicht mit ihm. Wenn ein Gefühl oder eine Körperempfindung erscheint, erscheinst du nicht mit ihnen. Wenn ein Gefühl oder eine Körperempfindung vergeht, vergehst du nicht mit ihnen. Und genauso bei einer Sinneswahrnehmung: Wenn sie auftaucht, tauchst du nicht mit ihr auf, und wenn sie verschwindet, verschwindest du nicht mit ihr.

Du hast das sichere Empfinden: „Ich bin immer hier“. Aber als was? Als was bist du hier?

Offensichtlich bist du schon mal kein Gedanke, kein inneres Bild, kein Gefühl, keine Körperempfindung und keine Sinneswahrnehmung – und damit nicht das, was wir „Körper“ und „Geist“ nennen. Aber als was bist du dann hier?

Versuche nicht, darauf eine Antwort zu geben. Jede Antwort, jeder noch so spirituelle Begriff (wie „Bewusstsein“, „Präsenz“ oder „Leere“) ist wiederum ein Gedanke und damit ein Teil des Stroms, ein Teil dessen, was kommt und geht.

Nutze vielmehr die Frage, um hinzuschauen und immer wieder interessiert, ja fasziniert, festzustellen: „Ah, das kommt und geht, aber Ich bin weiterhin hier. Ich bin nicht mit dem gekommen und gegangen.“

So offenbart sich das – in der Regel nicht plötzlich, sondern Stück für Stück –, als was du immer hier bist. So offenbarst du dich als du selbst.

∞                           ∞                           ∞

Spüre hin am Ende des Tages: Was hältst du wirklich in den Händen? Was hast du heute dazu gewonnen oder verloren? Was hat sich verändert aus dem Blickwinkel des erlebenden Ichs?

Gedanken tauchen auf, die eine Geschichte über den Tag und über das Erlebte erzählen wollen – also über die Sinneswahrnemungen, Gefühle, Körperempfindungen und Gedanken. Aber die Fragen richten sich nicht an das darüber erzählende Gedanken-Ich, sondern an dich, das unmittelbar erlebende Ich. Was hat sich für dich verändert?

„Sie alle sind gekommen und gegangen, und Ich, das erlebende Ich, bin weiterhin hier. Nichts hat sich in Mir festgesetzt. Nichts hat eine Spur in Mir hinterlassen. Ich bin wie leerer Raum – unberührt und unverändert.“

∞                           ∞                           ∞

Meistens sind wir so mit dem Gedanken-Ich identifiziert, dass wir das Vorhandensein des Gewahrseins der Gedanken nicht bemerken. Wir nehmen es nicht als Hintergrund wahr, vor dem alle Gedanken stattfinden, und nicht als Raum, in dem die Gedanken erscheinen und wieder verschwinden. Das gilt umso mehr, wenn uns etwas trifft und zu den Gedanken noch negative Gefühle hinzukommen. Ist der Zustand geistiger und körperlicher Aufregung wieder abgeklungen, ist es lohnenswert, die folgende Übung zu machen.

Erinnere dich an einige der Gedanken, die du in der Situation oder unmittelbar danach hattest. Sage diese Gedanken jetzt absichtlich noch einmal innerlich. Wiederhole sie mehrmals und gib ihnen eine gewisse Intensität. Achte lediglich darauf, dass du sie weiter bewusst sagst.

Nimm dann wahr, dass da nicht nur die Gedanken mit ihrem speziellen Inhalt sind, sondern dass da auch ein einfaches Gewahrsein ist, das all die Gedanken wahrnimmt. Nimm wahr, dass dieses Gewahrsein der unbewegte Hintergrund jedes Gedankens ist und zugleich der Raum, durch den die Gedanken ziehen.

Das intuitive Spüren des Gewahrseins ist jetzt möglich, weil die Verschmelzung mit dem Gedanken-Ich viel geringer ist. Als Folge dieser geringeren Identifikation sind dann auch die Gefühle weit weniger intensiv als in der ursprünglichen Situation. Insgesamt fühlst du dich jetzt selbst mit den negativen Gedanken viel freier.

An dieser Stelle kommt oft folgender Einwand: „Das ist ja gut und schön. Aber das absichtliche Denken der Gedanken ist ja nicht vergleichbar mit der Ursprungssituation. Logisch fühlt sich das jetzt nicht so negativ an. Schließlich habe ich die Gedanken innerlich bewusst gesprochen und so mehr Abstand dazu. Ich komme da jetzt einfach nicht so richtig rein und damit ist es auch nicht wirklich echt.“

Ja, das empfinden wir so. Aber hier unterliegen wir einer großen Täuschung. Wir glauben, dass die Intensität und Identifikation aus der tatsächlichen Situation echt und real ist, wohingegen der Zustand des absichtlichen Denkens unecht und damit nicht real ist.

In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt! Der Abstand, den wir während der absichtlichen Denkens spüren, weil wir ein intuitives Empfinden für das Gewahrsein bzw. den Gewahrseinsraum haben, ist das Echte und die Realität. Dagegen ist die alleinige Identifikation mit dem Gedanken-Ich und den dann auftretenden Gefühlen das Unechte und Irreale.

Oft brauchen wir Zeit, um das klarer zu sehen und zu fühlen. Deshalb ist das absichtliche Denken eine hilfreiche Übung, besonders wenn in bestimmten Situationen immer wieder negative Emotionen berührt werden. Wichtig dabei ist, dass es nicht um das absichtliche Denken selbst geht, sondern um den Zustand, der während des absichtlichen Denkens deutlich wird.

In diesem Zustand liegt deine wahre Echtheit und Natürlichkeit.

∞                           ∞                           ∞

„Nur der Betrachter erweckt ein Gemälde zum Leben. Ohne ihn existiert es nicht.“ – Côme Fabre, Konservator für Malerei im Louvre, im Angesicht der geschlossenen Museen während der Corona-Pandemie

Welch weiser Satz! Und „Gemälde“ kannst du durch „Baum“, „Sonnenuntergang“, „Auto“, „Partner“, „Mutter“, „Film“, „Krankheit“, „Essen“, usw. ersetzen.

∞                           ∞                           ∞

Spüre in dich hinein. Spüre dein Ich-sein. Hier. Jetzt.

Erzähle keine Geschichte über dich. Nutze so wenig Worte wie möglich, um dich selbst unmittelbar wahrzunehmen.

„Ich bin hier“

„Ich bin“

„Ich“

Spüre dich in der Stille nach den Worten. Spüre dich als die Stille.

Wiederhole die Worte nach einigen Augenblicken, um bei dir selbst zu bleiben und dich nicht in anderen Gedanken zu verlieren.

„Ich bin hier“

„Ich bin“

„Ich“

Erlaube dir, einfach hier zu sein. Erlaube dir, einfach du selbst zu sein.

Und nimm wahr, dass du hier schon ganz bist, dass du ohne eine Gedankengeschichte über dich frei von jedem Gefühl des Mangels und des Brauchens bist.

∞                           ∞                           ∞

Buchstabe für Buchstabe, Silbe für Silbe, Wort für Wort, Satz für Satz: Die Gedanken sind eine einzige Bewegung, eine einzige Abfolge von sich unterscheidenden Lauten. Wenn sie da sind – und das sind sie meistens – können sie nicht anders als ein einziger Fluss zu sein, eine einzige Veränderung.

Wir schenken diesem Fluss-Charakter der Gedanken aber keinerlei Beachtung, da wir so auf den Inhalt der Gedanken fokussiert sind. Ständig geht es um „mich“ und die „Welt“ – mal mit positiver und mal mit negativer Ausrichtung.

Aber egal, was für Gedanken gerade da sind, es ist zunächst einmal nur eine Abfolge von Gedanken. Deshalb nimm dir Zeit, um diesen Gedankenfluss bewusst wahrzunehmen. Du kannst dir als inneres Bild einen echten Fluss „daneben stellen“, um den Charakter der ständigen Bewegung der Gedanken zu verdeutlichen.

Die Gedanken fließen und fließen. Fließen und fließen. Und fließen und fließen.

Wenn du das für eine Weile beobachtest, kommt vielleicht irgendwann von ganz alleine die Frage: Wo findet eigentlich dieser Gedankenfluss statt? Wie ist die „Umgebung“, in der dieser Fluss sich bewegt? Ist da irgendetwas oder irgendjemand hinter den Gedanken?

Versuche nicht, eine Antwort auf die Fragen zu geben (wie „Im Kopf“ oder „In mir“), sondern spüre unmittelbar hinein in das, was hier ist, nachdem die Fragen gestellt wurden. Die Fragen sind nur ein „Aufmerksamkeitslenker“.

Wo findet der Gedankenfluss statt? Kannst du irgendeinen Ort ausmachen, wo sie durchziehen? Oder einen Besitzer, der sie hat?

Welche Worte finden sich dann nach dem direkten Hinschauen und Erspüren? Vielleicht fallen dir Worte wie „Leere“ oder „Raum“ ein. Oder „reines Gewahrsein“. Oder „Stille“. In jedem Fall ist da neben den Gedanken nicht etwas, das eine Form hat. Aber zugleich ist da nicht nichts. Sonst könnten die Gedanken auch gar nicht wahrgenommen werden.

Wie verändert das direkte Wissen um dieses „Nicht-Etwas“ die Bedeutung der Gedanken? Ist da – im wahrsten Sinne des Wortes – mehr Raum um die Gedanken?

Je mehr dir dieser Raum bewusst ist, desto weniger Wirkmacht haben die Gedanken. Du bist nicht mehr gefangen in den Gedanken.

Und welche Freiheit könnte größer sein als die von den eigenen Gedanken?

Vorheriger Artikel

Was bin ICH?

Nächster Artikel

Entdecke das, was die Gedanken nicht berühren können


  1. Genial – aber wie kann ich davon leben? : )
    DANKE für die interressanten „Gedanken“ im Gewahrsein.

  2. Lija Stein

    Meine „Gedanken“ sind hell, Sie befinden sich in einem grenzenlosen Raum hoch oben im Nichts. Weit entfernt und doch da.

    Das Nichts denken ist schön, denn dann ist da nur das Fühlen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Datenschutzerklärung einverstanden.



© 2018 Freiheit des Jetzt | Ingo Zacharias | Schröderstr. 8 | 69120 Heidelberg | Tel. 0163-9109750 | post@ingo-zacharias.de

Impressum & Datenschutzerklärung