Bist du nur ein Gedanke? Existierst du nur in Gedanken?
Gibt es dich nur als geistige Vorstellung, als eine Fantasie – genannt „Ich“ und ausgeschmückt mit allerlei Selbst-Beschreibungen?
Nein, natürlich nicht! Das Wort „Ich“ ist nur ein Fürwort. Das Ich in Gedanken verweist auf das reale Ich außerhalb von Gedanken! Das Ich in der gedanklichen Vorstellung spricht für das real existierende Ich außerhalb der gedanklichen Vorstellung!
Warum bist du dann so selten dort, wo du wirklich existierst – außerhalb von allen Ich-Gedanken? Warum bist du ständig in den Ich-Gedanken „zuhause“ und erlebst und spürst dich nur indirekt, „aus zweiter Hand“, über gedankliche Beschreibungen und Bewertungen? Warum erlebst du dich nicht unmittelbar, ungefiltert, ohne die Zuhilfenahme von irgendwelchen Ich-Gedanken?
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Du bist hier. Du existierst hier.
Du bist hier außerhalb von jedem auftauchenden Ich-Gedanken. Du existierst hier bevor irgendwelche benennenden und bewertenden Worte über dich auftauchen.
Nimm die Realität von dir selbst wahr. Nimm den „Ort“ deiner realen Existenz wahr.
Hier. Jetzt.
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Gibt es im realen Ich irgendwelche Probleme?
Gibt es im nicht-gedanklichen Ich die Möglichkeit, zu leiden?
Oder ist dort, wo du wirklich existierst, einfach Frieden, einfach Harmonie?
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Vielleicht sagst du jetzt: „Ja, da gibt es keine Probleme, da ist Frieden. Aber wenn ich wieder in meinem alltäglichen Leben bin, dann gibt es sehr wohl Probleme, dann gibt es sehr wohl Leiden bei mir und bei anderen.“
Aber auch diese Stimme ist wiederum nur das indirekte, das gedankliche Ich. Das ist nicht das unmittelbare, das vor-gedankliche Ich.
Nimm dich direkt wahr. Sei dort, wo du wirklich existierst – außerhalb von allen Ich-Gedanken.
Und spüre den Frieden. Spüre den Frieden, der du bist.
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Schau erneut hin: Existiert die Welt nur in Gedanken? Ist die Welt nur eine Gedanken-Welt?
Gibt es die Welt nur im Geist, als rein geistige Vorstellung – genannt „die Welt“ und bestehend aus unendlich vielen eigenständigen Dingen und Wesen?
Nein! Genauso wie du hier bist außerhalb von allen Gedanken über dich, ist auch die Welt hier außerhalb von allen Gedanken über die Welt.
Sei dort, wo du und die Welt wirklich existieren – außerhalb von allen „Ich-und-die-Welt“-Gedanken.
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Unterscheide das reale Ich vom Gedanken-Ich.
Unterscheide das primäre, originäre Ich, vom sekundären, abgeleiteten Ich.
Und unterscheide die reale Welt von der Gedanken-Welt.
Sieh den Unterschied, spüre den Unterschied – in diesem und diesem und diesem Augenblick.
Kehre immer wieder zum originären Ich, zur realen Welt zurück und verweile mehr und mehr bewusst dort.
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Jetzt könnte es so aussehen, als wäre das Gedanken-Ich mit seiner Gedanken-Welt das Problem, das es zu überwinden, zu bekämpfen oder loszuwerden gilt, um im realen Ich, in der realen Welt zu sein. Aber dem ist nicht so! Die Realität kann nicht von den Gedanken gestört oder gar überdeckt werden kann, so dass entweder gerade die Realität real ist oder die Gedanken real sind.
Die Realität ist die Realität und die Gedanken sind die Gedanken.
Die Gedanken lassen das reale Ich und die reale Welt völlig unberührt. Sie lassen die Realität so unberührt, dass sogar Worte wie „Ich“ und „Welt“ keinerlei Bedeutung mehr haben.
Selbst wenn die Gedanken da sind, ist das reale Ich, ist die reale Welt immer hier-jetzt existent. Das Gedanken-Ich mit seiner Gedanken-Welt als Gedanken ist ein Teil der realen Welt, es findet innerhalb des realen Ichs statt. Aber der Gedanken-Inhalt ist kein Teil der Realität hier und jetzt. Die Realität bleibt somit frei von den Gedanken.
Stell dir vor, du siehst einen Film am Fernsehbildschirm. Er findet bei dir im Wohnzimmer statt. Der Film ist also ein Teil der Realität im Wohnzimmer. Aber der Inhalt des Films, das, was ihn zu einem Drama, zu einer Tragödie oder Komödie macht, ereignet sich nur im Film. Er findet nicht im Wohnzimmer statt und ist somit kein Teil der Realität hier und jetzt.
Ein guter Film lässt uns diese offensichtliche Tatsache für die Dauer des Films vergessen. Er „zieht uns in den Film hinein“ und „fesselt uns“. Aber spätestens am Ende des Films erinnern wir uns: „Ahhh, es war ja nur ein Film.“
Genauso ist es mit den Gedanken. Sie sind ein Teil der Realität des Augenblicks, aber der Inhalt der Gedanken findet nur in Gedanken statt und ist kein Teil der Realität. Und genau wie beim Schauen des Films vergessen wir das hier auch und sind völlig gefesselt von der vermeintlichen „Realität der Gedanken“. Aber wenn wir genau hinschauen, ob der Inhalt der Gedanken hier auch in der Realtität zu finden ist, ob er also gerade die Realität außerhalb der Gedanken abbildet, können wir klar erkennen, dass er das nicht tut.
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Kehre heim zu dir selbst, zur nicht-gedanklichen Realität von dir selbst. Und sei zuhause in der nicht-gedanklichen Realität von der Welt.
Spüre den Frieden, spüre die stille Freude. Spüre die Freiheit und spüre die Untrennbarkeit von dem, was in Gedanken „Ich“ und „die Welt“ genannt wurde.
Und wenn das Gedanken-Karussell wieder aktiv ist, wenn die alleinige Realität und Ich-Identität sich wieder zum Gedanken-Ich und seiner Gedanken-Welt verlagert hat, erinnere dich:
„Nicht wahr! Das, was die Gedanken sagen, ist nicht die Realität! Ich und die Welt sind hier außerhalb von allen Gedanken.“
Oder: „Das ist nur ein Film. Das ist nur Kopfkino und nicht die Realität.“
Nutze die Gedanken auf intelligente Weise, um immer wieder aus der Selbst-Täuschung aufzuwachen und aus den Gedanken zur Realität außerhalb der Gedanken zurückzukehren.
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Auch wenn uns das reale Ich und die reale Welt immer bewusster werden, gibt es im täglichen Leben weiterhin das Gedanken-Ich mit seiner Gedanken-Welt. Es gibt weiter unser gewöhnliches Verständnis von uns als Person mit einem Ich-Bezugspunkt und von der Welt als einer Ansammlung von separaten Dingen und Wesen. Daran ist nichts falsch. Es ist auf der praktischen und interagierenden Ebene unseres Lebens sogar unerlässlich. Aber die Überzeugung, dass die Gedanken tatsächlich die Realität widerspiegeln, existiert nicht mehr.
Das ist so, wie du irgendwann weißt, dass nicht die Sonne untergeht, sondern du dich auf der Erdkugel drehst und die Sonne unbewegt bleibt. Trotzdem sagst du weiter umgangssprachlich: „Die Sonne geht unter“. Aber dahinter weißt du, dass das nicht die Realität ist. Du lässt dich nicht mehr wirklich täuschen.
In der gewöhnlichen Welt, die ohne Gedanken nicht sein kann, gibt es weiterhin „Ich und Du“, „Hier und Dort“, „Gestern und Morgen“, „Glück und Leiden“, „Gewinn und Verlust“, „Erfüllung und Enttäuschung“, „Geburt und Tod“. Aber auch wenn alle anderen Menschen diese Begriffe und Unterscheidungen für die Realität halten, weißt du „dahinter“, dass all das in der Realität nicht existiert.
Du lebst so, als ob die Gedanken mit ihren Begriffen und Bewertungen die Realität seien. Du ignorierst nicht, was allgemein als Realität angesehen wird (was auch nur den Gedanken entspringen würde), doch gleichzeitig weißt du aus dem unmittelbaren Gegenwärtigsein, dass sie nicht die Realität sind.
Die Anzahl der Gedanken verringert sich, weil es schlicht nicht mehr nötig ist, alles ständig in Begriffe zu fassen, zu bewerten und über alles Mögliche nachzudenken, und auch die Qualität der verbleibenden Gedanken verändert sich ganz natürlich und wird positiver, zugewandter, wohlwollender.
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Du bist in der Welt, aber nicht mehr von dieser Welt.
Du bis hier außerhalb von allen Gedanken und „du“ „gehst“ mit einer großen, ja unerschütterlichen Leichtigkeit und Harmonie „durch die Welt“.
Oder, wie Byron Katie es ausdrückt: „In jener vorsprachlichen Welt gibt es nur das Wirkliche – ungeteilt, unfassbar, bereits gegenwärtig. Vermeintlich einzelne Dinge können nicht wirklich sein, da das Denken sie mit seinen Bezeichnungen erschaffen hat. Wenn wir das verstehen, wird das Unwirkliche schön, weil nichts das Wirkliche bedrohen kann.“
Matthias
Guten Tag Herr Zacharias,
tolle Texte von Ihnen, die wirklich hilfreich sind, um eigene Erkenntnisse zu sammeln, bezüglich der wahren Natur der eigenen Existenz.
Gerne mehr davon, auch in Buchform!