„Das Tao, das mitgeteilt werden kann, ist nicht das ewige Tao.“

Die Wirklichkeit lässt sich nicht in Worte fassen. Worte begrenzen sie. Wir quetschen sie in Substantive, Verben und Adjektive und hemmen so den Fluss vom einen Augenblick zum nächsten. Das Tao, das mitgeteilt werden kann, ist nicht das ewige Tao, weil ihm der Versuch des Mitteilens eine zeitliche Dimension verleiht. Das Bemühen, etwas zu benennen, ordnet es zeitlich ein. Was benannt wurde, ist nicht mehr ewig. »Ewig« bedeutet frei, grenzenlos, ohne festen Platz in Zeit oder Raum, ungehindert gelebt.

Das, was gerade in diesem Sessel sitzt, hat keinen Namen. Ich bin die Erfahrung des Ewigen. Bereits der Gedanke »Gott« bringt alles zum Stillstand und ordnet es zeitlich ein, und indem ich »Gott« erschaffe, erschaffe ich ebenso »Nicht-Gott«. Sie können Gott auch durch jeden anderen Begriff ersetzen – mit dem Gedanken »Baum« erschaffe ich »Baum« und »Nicht-Baum«. Der Vorgang ist der gleiche.

Ehe Sie anfangen, die Dinge zu benennen, ist die Welt ohne Dinge, ohne Bedeutung. In einer Welt ohne Worte, ohne Fragen gibt es nur Frieden. An diesem Ort ist alles bereits beantwortet, in freudiger Stille.

In jener vorsprachlichen Welt gibt es nur das Wirkliche – ungeteilt, unfassbar, bereits gegenwärtig. Vermeintlich einzelne Dinge können nicht wirklich sein, da das Denken sie mit seinen Bezeichnungen erschaffen hat. Wenn wir das verstehen, wird das Unwirkliche schön, weil nichts das Wirkliche bedrohen kann. Ich sehe keine einzelnen, getrennten Dinge, die »Baum« oder »du« oder »ich« heißen. Das sind nur Produkte unserer Phantasie, an die wir glauben oder auch nicht.

Das Benennen ist der Ursprung all jener Dinge, aus denen die Welt der Illusion, die Traumwelt besteht. Man bricht einen Teil aus dem Ganzen heraus, gibt ihm den Namen »Baum«, und schon beginnt der Traum. Ich bezeichne das als »Denken der ersten Generation«. Ein Gedanke bringt den nächsten hervor, und schon haben wir »hoher Baum, schöner Baum, Baum, unter dem ich sitzen möchte, Baum, aus dem sich schöne Möbel machen lassen, Baum, den ich retten muss«, und der Traum geht immer weiter.

Es genügt ein Augenblick, in dem das Kind zum ersten Mal ein Wort mit einem Gegenstand verknüpft, und schon stürzt es in die Traumwelt, in den Traum von einer Welt hinein. Ein Augenblick genügt aber auch, um all das infrage zu stellen, um den Bann zu brechen und für das Tao aller Dinge dankbar zu sein – Baum, kein Baum; Welt, keine Welt.

Wenn der Verstand glaubt, was er denkt, benennt er das Unnennbare und versucht auf diese Weise, es wirklich zu machen. Er hält seine Namen für die Wirklichkeit und glaubt, dort draußen gäbe es eine von ihm getrennte Welt. Das ist eine Illusion.

Byron Katie

Byron Katie

Die ganze Welt ist Projektion. Wenn Sie verschlossen und ängstlich sind, kommt die Welt Ihnen feindselig vor. Wenn Sie lieben, was ist, wird die ganze Welt zum Gegenstand Ihrer Liebe. Innen und außen stimmen stets überein – sie spiegeln einander. Die Welt ist das Spiegelbild Ihres Denkens.

Wenn Sie nicht glauben, was Sie denken, sind Sie frei vom Urverlangen des Menschen – dem Gedanken, die Wirklichkeit sollte anders sein, als sie ist. Sie begreifen das Wortlose, das Undenkbare. Sie verstehen, dass Sie alle Geheimnisse selbst erschaffen haben.

In Wirklichkeit gibt es keine Geheimnisse. Alles ist sonnenklar. Alles ist einfach, weil eigentlich nichts existiert. Bis auf die Geschichte, die soeben entsteht. Und noch nicht einmal das. […]

Sobald Sie aufhören zu glauben, was Sie denken, handeln Sie, ohne zu tun, weil alles andere unmöglich ist. Sie erkennen: All Ihre Gedanken, in denen Sie sich für den Handelnden halten, entsprechen einfach nicht der Wirklichkeit. Ich sehe zu, wie die Hand, die ich als die meine bezeichne, zur Teetasse greift. Sie besitzt eine solche Intelligenz, gleitet so entschlossen durch die Luft, erreicht die Tasse, die Finger krümmen sich um den Henkel, die Hand hebt die Tasse, führt sie an die Lippen, neigt sie, Tee fließt in den Mund, ah. Und die ganze Zeit über ist niemand da, der all das täte. Der Handelnde ist jemand völlig anderes, jenseits der Geschichte von »ich bin«. […]

Wenn der Geist klar ist, wird das Leben ganz einfach. Es kommt mir in den Sinn, aufzustehen und das Geschirr zu spülen. Als mein Körper sich bei diesem Gedanken erhebt, spüre ich eine tiefe freudige Erregung. Wie kindlich er doch ist, wie er da in die Küche zur Spüle geht. Ich drehe den Hahn auf, spüre das Wasser auf meinen Händen, gebe etwas Spülmittel auf einen Schwamm. Erstaunlich. Es geht noch gar nicht ums Geschirrspülen – erst dann, wenn ich einen Teller zur Hand nehme und sehe, wie er sich von »verkrustet« oder »klebrig« in »nass« und »seifig«, in »glänzend« und »trocken« verwandelt, damit er erneut von Nutzen sein kann.

Alles verändert sich. Ich weiß nie, was etwas sein wird. Wenn ich keinen Gedanken über eine Zukunft glaube, kann ich nicht wissen, was ich bin und was der Teller, die Seife, das Wasser, die Welt aus Seifenblasen und Glanz ist. […]

Wenn Sie Ihren Gedanken keinen Glauben schenken, sind Sie, was ist. Es gibt keine Trennung; Sie sind alles. Nur der ungeprüfte Geist würde Sie für ein Ich halten, das in einem Körper lebt.

Was ist das ursprüngliche Einssein? »Sessel-Hand-Tasse-Fenster-Himmel«, bevor »Sessel«, »Hand«, »Tasse«, »Fenster«, »Himmel« daraus wird. Sie müssen es nicht wiederfinden, weil Sie es nie verloren haben. Wie könnten Sie auch?

Wohin hätten Sie schon gehen können? Der Mittelpunkt des Universums ist immer dort, wo Sie sind, und er ist überall. Er ist der Anfang und das Ende, die Schönheit der Dunkelheit, das Lob des Nichts. Und nur dieser Mittelpunkt ist echt.

Wenn Sie das verstanden haben, wird Ihnen klar, dass sogar das Einssein unnötig ist. Es ist, als verliebten Sie sich in sich selbst. Sie müssen nichts tun, niemand sein, es gibt keine Verantwortung, keinen Sinn, kein Leiden, keinen Tod. Sie schaffen sich mit Ihren Überzeugungen keine getrennte, ferne Polarität mehr, in der Sie nur ein winziges Pünktchen sind, das enorme Anstrengungen unternimmt, um zu beweisen, dass irgendetwas wahr ist.

Wenn Sie erkennen, dass Sie das ursprüngliche Einssein niemals verlassen haben, bedeutet das auch, dass Sie nie geboren wurden und nicht sterben können.

Wie flexibel diese Erkenntnis macht! Sie macht immun gegen alles, womit das Denken die Wirklichkeit übertünchen will: gegen jede Enttäuschung, jeden Kummer. Wenn ich mein ganzes Geld verliere, gut. Wenn ich Krebs bekomme, gut. Wenn mein Mann mich verlässt, gut. Wenn mein Mann bleibt, auch gut.

Wer würde nicht immer ja zur Wirklichkeit sagen, wenn er die Wirklichkeit liebt? Was könnte schon geschehen, dass ich es nicht von ganzem Herzen willkommen hieße?

Quelle: Byron Katie „Eintausend Namen für Freude“, S. 23-25, 30, 44f und 48f