Ereignisse kommen und gehen.
Gefühle kommen und gehen.
Gedanken kommen und gehen.

Sie alle sind wie die Wolken,
die am Himmel vorüberziehen –
manchmal hell und manchmal dunkel.

Doch hinter den Wolken ist immer
der Himmel vorhanden –
völlig ungestört und frei.

Mögest du nie vergessen:
dieser Himmel, das bist DU.

Diese Zeilen habe ich vor kurzem für mein Patenkind zur Taufe geschrieben. Sie drücken meinen tiefsten Wunsch für dieses neue Erdenwesen aus: Möge es sich nicht in falschen, leidvollen Identitäten verlieren und sich seiner wahren, leidfreien Natur bewusst sein.

Am Anfang des Textes geht es um die Unbeständigkeit und Wechselhaftigkeit jeglichen Erlebens und jeglicher Dinge. Alles, was kommt, geht auch wieder. Alles, was entsteht, ist früher oder später dem vergehen unterworfen.

Eigentlich wissen wir das alle. Aber wenn wir es wirklich wüssten, dann wären wir augenblicklich frei. Es gäbe ein ganz klares Erkennen, dass wir an nichts festhalten können. Und dass wir noch nicht einmal etwas ablehnen können, weil der Lauf der Dinge nicht unserer Kontrolle unterliegt.

Ein Sonnenuntergang erscheint – und vergeht. Ein Musikkonzert findet statt – und ist nach zwei Stunden zu Ende. Ein schönes Essen wird genossen – und ist dann auch schon wieder vorbei. Muskelkater entsteht – und vergeht wieder. Eine Grippe breitet sich im Körper aus – und löst sich wieder auf. Eine Freundschaft entsteht – und hat irgendwann ein Ende.

Gleiches gilt auch für unser Innenleben. Angenehme Empfindungen und Gefühle entstehen und vergehen wieder. Positive Gedanken tauchen auf – und verschwinden wieder. Und in anderen Momenten (die wir nicht freiwillig gewählt haben) sind unangenehme Empfinden und Gefühle oder negative Gedanken da. Aber auch die wandeln sich, vergehen und geben wieder Raum für neue Gefühle und Gedanken.

Neben diesen Mikroveränderungen von Moment zu Moment wandeln sich im Laufe der Zeit aber oft auch grundsätzliche Ansichten und Meinungen und Prioritäten in unserem Leben. Ebenso unser grundsätzlicher Körperzustand.

ALLES in uns ist im Wandel.

Aber wer ist dann das „Ich“, das sich als den unverändert dahinter liegenden Erlebenden und Handelnden ansieht? Das überhaupt Wandel und Veränderung wahrnehmen kann?

Ist auch das ein Phänomen, das sich wandelt, das kommt und geht?

Taufspruch

Taufspruch (Zum Vergrößern bitte anklicken)

All dies lässt sich gut in dem Bild vom Himmel und den Wolken veranschaulichen. Die Wolken sind mal hell und mal dunkel, mal groß und mal klein. Aber niemals sind sie konstant, bleiben sie stehen. Unablässig wandeln sie sich, ziehen weiter und lösen sich auf.

Doch dahinter gibt es etwas, das von all diesen Bewegungen und Wandlungen unberührt bleibt: der Himmel selbst. Er ist so etwas wie die Bühne für das Erscheinen all dieser Wolkenformationen. Alle Wolken können sich dort ohne Eingrenzung oder Bewertung aufhalten und weiterziehen. Der Himmel jedoch bleibt immer ganz unbelastet und ungestört von all diesen Wolken. Er ist frei – egal, ob helle Wolken da sind, oder dunkle, oder gar keine.

Der fatale Irrtum des Menschen ist, dass er glaubt, (nur) die Wolken zu sein. Zwar scheint es zunächst unausweichlich, sich mit der Zeit des Aufwachsens als ein separates Ich zu empfinden, um in dieser Welt handeln und leben zu können. Doch (später) gibt es die Möglichkeit, diese Identität zu erweitern und eine tiefer liegende, grundlegendere Identität zu erkennen als die der flüchtigen Person.

Es ist die Erkenntnis, der Himmel zu sein und nicht die Wolken. Es ist die Erkenntnis, dass es hinter dem sich ständig verändernden Erleben keine Person, keine Entität gibt, die all das erlebt. Da ist nur Gewahrsein, nur Bewusstsein. Aber niemand, der etwas persönlich nehmen und als konstantes Ich behaupten könnte, „Das habe ICH erlebt“, „Das hat MICH verletzt“, „Das habe ICH verloren“.

Diese Erkenntnis beendet das (mehr oder weniger) leidvolle Dasein, das sich nur auf die flüchtige Person stützt. Wir erkennen, dass wir der unerschütterliche Raum der Stille sind. Dieser Raum ist nicht greifbar, aber immer da. Und er wird erlebbar, wenn alles, was erscheint, einfach sein darf – im Kommen wie im Gehen. Dann wird klar, dass wir letztlich nicht die Wolken sind, sondern der zeitlos freie Himmel.

Diese Erkenntnis und Freiheit wünsche ich dir, kleines großes Erdenwesen!