Es ist faszinierend. Uns allen ist bewusst, dass ein Auto im Prozess ständiger Veränderung ist. Öl wird verbraucht, Teile im Motor werden verschlissen, die Sitze werden abgenutzt, der Reifendruck nimmt ab, eine kleine Delle entsteht, weil wir beim Einparken nicht aufgepasst haben. Und doch sagen wir von Tag zu Tag: „Da ist mein Auto“. So als wäre es etwas Festes, Gleichbleibendes.
Genauso geht es uns mit allen anderen Dingen. Betrachten wir etwa unsere Wohnung oder unser Haus, ist Veränderung in Form von Verschleiß und neuen Dingen unser tägliches Erleben. Gleichwohl reden wir immer wieder von „meiner Wohnung“ oder „meinem Haus“. So als gäbe es da etwas Unveränderliches.
Oder wir sehen den Baum vor dem Haus. Einerseits wissen wir natürlich, dass er wächst, dass Äste bei einem Sturm abbrechen, dass der Baum im Frühling neue Blätter bekommt und die Blätter im Herbst wieder abfallen (und natürlich nicht dieselben, die im Frühling entstanden sind). Gleichwohl bleibt er für uns „der Baum“. So als wäre er eine gleich bleibende Einheit im Zeitverlauf.
Jetzt sagst du vielleicht: „Ja, das ist mir schon bewusst. Alle Dinge und alle Menschen verändern sich, aber trotzdem ist da etwas klar Umrissenes – z. B. das Auto, der Baum oder das Haus –, das früher mal nicht da war und irgendwann auch nicht mehr da sein wird. In diesem Sinne existiert alles für eine bestimmte Weile als eigenständiges Objekt und ist während seiner Lebenszeit dauerhaft existent.“
Ja, das ist unsere gewöhnliche Sichtweise. Aber bei genauer Betrachtung stellt sich trotzdem die Frage: Was genau ist es an jedem Objekt, von dem ich sagen kann, dass es eine bestimmte Lebensdauer hat und ein eigenständiges Objekt ist, obwohl es sich gleichzeitig ständig verändert?
Objektive Realität oder mentales Konstrukt?
Irgendwo muss etwas Gleichbleibendes in den Objekten zu finden sein, sonst macht es keinen Sinn zu behaupten, dass sie objektiv in der Realität existieren. Denn „existieren“ heißt für uns, im Zeitverlauf irgendwie unverändert zu bleiben.
Suche nach dem Gleichbleibenden, nach dem Kern irgendeiner Sache, irgendeines Objektes. Und wenn du es nicht findest, schau, ob es nicht die eigene (vor allem visuelle) Wahrnehmung ist, die ein Objekt immer wieder quasi „extrahiert“ aus dem Gesamtfeld der Wahrnehmung und es dann mental als eigenständig und im Zeitverlauf gleich bleibend benennt („Guck mal, wie der Baum sich heute im Wind bewegt“).
Kontempliere das. Betrachte es genau. Wie ein Wissenschaftler. Und wenn du verunsichert bist nach der Erforschung, wenn deine bisherigen Überzeugungen etwas ins Wanken geraten, versuche dieses Gefühl zuzulassen und es nicht gleich innerlich wegzuwischen („Na ja, aber die einzelnen Dinge sind halt trotzdem da. Ist doch offensichtlich.“). Lass nicht sofort den gewohnten Geist wieder das Kommando übernehmen.
Ich bin … ja was eigentlich?
Noch spannender wird diese Erforschung, wenn wir auf uns selbst schauen. Auch hier ist uns klar, dass wir uns ständig verändern. Der Körper unterliegt einem ständigen Veränderungsprozess, aber auch innere Einstellungen und Prioritäten wandeln sich. Was uns früher ganz wichtig war („Jedes Wochenende weggehen“), ist heute gar nicht mehr bedeutsam. Und doch schauen wir jeden Tag in den Spiegel und sehen da unverändert „Das bin ich“.
Jeden Tag benutzen wir den gleichen Namen, erzählen von unseren heutigen Erlebnissen oder von der Vergangenheit und der Zukunft. So, als gäbe es da ein Zentrum – „Ich“ eben –, das bei allen Veränderungen unverändert bleibt, das alles erlebt und über die Veränderungen berichten kann.
Aber auch hier ist die entscheidende Frage: Gibt es dieses Ich-Zentrum wirklich? Ist es auffindbar und greifbar, wenn wir danach suchen? Oder ist dieses statische Ich, genau wie bei den äußeren Objekten, das Ergebnis einer visuellen und durch Gedanken ständig reproduzierten Selbst-Wahrnehmung, mit der „Ich“ als etwas Gleiches immer wieder erschaffen und so in meiner Existenz scheinbar bestätigt werde?
Bin „Ich“ als etwas Dauerhaftes wirklich in der Welt zu finden oder bin „Ich“ letztlich nur das Produkt meines eigenen Geistes?
Alles existiert, weil es nichts Dauerhaftes gibt.
Ganz wichtig dabei ist, dass es nicht darum geht, dass du oder alle anderen Dinge nun gar nicht existieren. Natürlich ist da überall nicht nichts. Aber da ist eben auch nicht etwas Dauerhaftes, etwas Gleichbleibendes. Und damit nicht etwas unabhängig Existierendes.
Das führt mich zu der Frage, die mir vor vielen Jahren in den Sinn kam:
Wie könnte es mich geben, wenn es mich wirklich gäbe?
Wie könnte so etwas wie dieser Körper und dieser Geist überhaupt da sein und funktionieren, wenn sie nicht ein ständiger Fluss, eine ständige Bewegung wären? Wenn es da wirklich etwas Gleichbleibendes gäbe, könnte sich das ja – per Definition – nie verändern! Und das wäre das genaue Gegenteil von „Leben“, von lebendig sein.
So kann man diese Frage auch ganz allgemein formulieren:
Wie könnte irgendetwas existieren, wenn es wirklich existieren würde?
Wie könnte es die Vielfalt des Lebens geben, wenn nicht alles ständig mit- und ineinander Fließen würde, und das immer wieder auf neue Weise? Wie könnte etwas Neues entstehen, wenn sich statische und wirklich getrennte Entitäten begegnen würden?
Leben ist Bewegung. Und die Trennung der Welt in separate Objekte, die für eine Weile wirklich existieren und damit für diese Zeit unmerklich zu etwas Statischem werden, geschieht nicht in der Natur selbst, sondern „nur“ in unserem Geist.
Der Fluss kann nicht leiden, nur das vermeintlich Statische.
Wenn du dieser Betrachtungsweise (zunächst mal von der Logik her) folgst, hat das gravierende Folgen. Dann würde nämlich dein Leiden enden. Warum? Weil du dann nicht mehr der Illusion verfallen könntest, dass du „da draußen“ wirklich Objekte ergreifen und besitzen kannst – einfach, weil da nichts wirklich Festes ist, dass du festhalten kannst.
Und noch wichtiger, auf der anderen Seite, wo „Du“ bist, der etwas haben will, würde klar, dass hier niemand Gleichbleibendes im Zeitverlauf da ist, und folglich auch niemand, der etwas dauerhaft festhalten oder besitzen kann.
Umgekehrt bedeutet das natürlich auch, dass da niemand ist, der etwas verlieren kann oder der etwas wegstoßen müsste, weil es ihn in seinem Ich-Gefühl bedrohen oder verletzen könnte.
Ich möchte noch einmal betonen, dass all das Gesagte jetzt nicht heißt, dass da nichts ist, dass alles nur eine Fata Morgana ist, sowohl auf der Seite der Objekte als auch auf der Ich-Seite, der Seite des Subjekts. Aber da ist eben bei genauer Betrachtung auch nicht wirklich etwas Konkretes, Greifbares auf beiden Seiten, das aneinander andocken könnte („Jetzt habe ich es“, „Jetzt bin ich es“) oder in schicksalhafter Weise miteinander verbunden ist („Warum muss ich so sein?“, „Wieso kann ich es nicht anders haben?“).
Alles ist nur ein Moment-Erleben, ein Moment-Sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und nur durch den Geist machen wir daraus etwas länger Andauerndes – was immer wieder zu Leiden führt.
Wenn diese Täuschung durchschaut wird, ist es die Befreiung vom Leiden, von dem, was die Buddhisten „Anhaftung“ nennen. Hurra!! Und natürlich wäre dann auch keiner da, der diese Befreiung haben oder besitzen könnte…
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