Ich warne euch am besten gleich, dass ich keine erleuchtete Person bin und dass keine Person in diesem Raum je erleuchtet werden wird. So etwas wie eine erleuchtete Person gibt es nicht. Das wäre ein Widerspruch in sich. Außerdem möchte ich sagen, dass hier keine Lehre welcher Art auch immer verkündet wird. Hier wird nichts gelehrt, weil hier niemand ist, der etwas lernen müsste.
Alles, was hier wirklich passiert, ist, dass wir als Freunde beisammen sind, die sich an etwas erinnern. Es geht hier nur darum, sich an etwas zu erinnern, das wir vielleicht verloren oder verlegt zu haben glauben. Einige der Anwesenden haben sich erinnert und viele andere in diesem Raum haben ein Gefühl oder einen Einblick dessen erfahren, was sie für verloren hielten.
Und die Natur dessen, was wir für verloren halten, ist gegenwärtiges Gewahrsein. Das ist total einfach, absolut einfach – die eine Sache, nach der wir uns über alles sehnen, ist in Wirklichkeit total einfach und unmittelbar und zugänglich. Und was am Merkwürdigsten ist: Das, wonach wir uns sehnen, hat uns nie verlassen.
Einfach gesagt gibt es für uns, wenn wir noch ganz klein sind, nichts als Sein ohne ein Wissen davon, es gibt einfach nur Sein. Und dann kommt jemand daher und sagt „du bist Klaus“ oder „du bist Marianne“ – „du bist eine Person“. Und auf die eine oder andere Weise stülpt sich der Verstand – der „Ich“-Gedanke, die Identität, die Vorstellung „Ich bin eine Person“ – über die Energie des Seins und identifiziert sie als Klaus oder Marianne oder wen auch immer. Er vereinnahmt das Sein und gibt ihm einen Namen. Worte beginnen, Etiketten beginnen und das ganze Leben beginnt, sich um diese Idee des „Ich“ zu drehen.
Betrachtet doch mal die scheinbare Welt, in der wir heute leben! Da geht es immer nur um „mich“ – es geht immer nur darum, ob „die Person“ erfolgreich oder ein Versager ist. Wir wachsen in dem Glauben auf, es gäbe da jemanden und dieser Jemand lebte ein Leben von so und so vielen Jahren Dauer, und diesen Glauben bekräftigen wir immer wieder. Wir befinden uns auf einer Reise namens „mein Leben“ und wir müssen uns darum kümmern – so wird uns gesagt –, dass dieses Leben funktioniert. Alles dient der Idee „Ich bin eine Person und ich muss mein Leben auf die Reihe kriegen.“
Euch werden Pflichten aufgetragen. Bei der ersten dreht es sich darum, ein gutes Kind zu sein, bei der nächsten, ein guter Schüler zu sein. Und auf die Pflichten des guten Arbeiters, folgen meistens die Pflichten des guten Ehemannes, der guten Ehefrau, des guten Partners. Einige Menschen versuchen, auf dem Weg über die Religion zu entdecken, was in ihrem Leben fehlt, und bekommen wieder eine Liste präsentiert, die ihnen sagt, welche Bedingungen sie erfüllen müssen, um würdig oder akzeptabel zu sein.
Es gibt so viele Vorstellungen über die Art und Weise, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, wie es scheinbare Personen gibt. Und die persönlichen Errungenschaften sind vielschichtig und subtil – manche offensichtlich sogar negativ. Einige Menschen empfinden es als großen Erfolg, zum Opfer zu werden!
Wir müssen dieses Spiel spielen, weil wir uns wirklich für Personen halten; wir haben eine Maske namens „Ich bin eine Person“ aufgesetzt. Dann gibt man sich den Anschein, diese Person zu sein und weil man das so ernst nimmt, vergisst man, dass man nur so tut – der Anschein wird zur Hauptsache. Und viele Menschen leben ihr ganzes Leben auf diese Weise. Das ist prima, das ist göttlich, das ist das göttliche Spiel.
Einige Menschen haben das Gefühl, obwohl sie all diese Pflichten abgehakt haben, fehle immer noch etwas. Dann denken sie: „Vielleicht kann ich es in der Therapie finden – vielleicht kann mir ein Therapeut sagen, was nicht in Ordnung ist, was mir fehlt.“ Und schon haben sie eine neue Liste von Pflichten. Und wieder taucht das Bestreben auf, etwas zu werden.
Aber aus irgendeinem Grund scheint nichts auf der Liste – Religion, Therapie, was auch immer – zu funktionieren. Und dann hören manche von der so genannten Erleuchtung und haben das Gefühl, dass mit ihr das Puzzle vielleicht gelöst wird. Also gehen sie auf die Suche und finden jemanden, der vorgibt, ein Guru zu sein, und sie geben vor, seine Anhänger zu sein. Sie bauen sich gegenseitig auf. Der Meister, der euch beibringt, wie man erleuchtet wird, wird größer und größer, und ihr fühlt euch immer wichtiger, weil euer Meister immer wichtiger zu sein scheint.
Das ist natürlich wieder ein wundervolles Theaterspiel. Und es bringt neue Pflichten mit sich: zu meditieren, sehr ehrlich zu sein, oder die Erleuchtung so ernst zu nehmen, dass man in den Abgrund springen würde… Ein Punkt auf der Liste besteht darin, „jetzt hier zu sein“ – jetzt hier zu sein und nicht zu denken. Ihr könnt die Bücher lesen und diese Leute aufsuchen, die euch das erzählen… Und ihr könnt wirklich bis zu drei, vier Minuten jetzt hier sein – und vielleicht fünf Sekunden lang nicht denken!
Es ist alles Schein und es ist total göttlich. Jeder Augenblick eures bisherigen Lebens war absolut, vollkommen göttlich; nichts hätte jemals anders sein können. Die gesamte Erscheinung eures Lebens – all das scheinbare Tun, das scheinbare Wählen – ist total stimmig und total göttlich.
Aber die Idee von „dir“ wird ständig verstärkt. Die Betonung liegt darauf, dass jemand da ist; alles in der Welt betont immer wieder, dass jemand da ist. Das angebliche „Ich“ wird sogar durch die Suche nach der Erleuchtung verstärkt, weil ein so genannter Meister dir sagen wird: „Ich bin erleuchtet – ich bin eine erleuchtete Person und du kannst auch eine erleuchtete Person werden.“ Du – dieses angebliche „du“! Das ist ein totaler, vollständiger Trugschluss, weil Erwachen der Erkenntnis entspricht, dass niemand da ist – so einfach ist das. Es ist total und vollkommen einfach und gleichzeitig sehr schwierig.
Aufzuwachen entspricht der Erkenntnis, dass alles, was geschehen ist – diese ganze Idee, es gäbe ein „Ich“ – eine Vortäuschung falscher Tatsachen ist. Ihr tut in Wirklichkeit nur so, als säßet ihr hier und sähet mich an. Ihr gebt vor, dort zu sitzen, mich anzuschauen und zu versuchen, etwas zu erlangen. In Wirklichkeit sitzt niemand dort und es gibt nichts zu erlangen.
Wenn du willst, kannst du die Augen schließen und die Energie spüren, die du für „dich“ hältst. Sie ist wie eine Lebendigkeit … Für manche Menschen ist sie die Empfindung „ich existiere“… Aber diese Energie, diese Empfindung, dass „du“ da bist, ist in Wirklichkeit nicht du. Das Gefühl dessen, für den du dich hältst, diese Empfindung von Lebendigkeit und Energie ist Sein, sie ist nichts als Sein. Es ist nie gekommen und nie verschwunden – es hat dich nie verlassen, es ist immer da gewesen.Du hast geglaubt, es wäre du, aber es ist nichts als pures Sein. Es ist nicht, wer du bist, es ist, was du bist.
Was du bist, ist einfach nur Sein, Präsenz, Leben. Du bist Leben, Leben, das sich ereignet, aber es ereignet sich nicht für jemanden. Dort auf dem Stuhl zu sitzen ist nicht etwas, das dir passiert. Dort auf dem Stuhl zu sitzen ist, was passiert – niemandem. Es gibt nur Sein.
Du bist Sein. Du bist göttliches Sein.
Und es ist so verblüffend, denn egal wohin du gehst, überall ist Sein. Was immer du scheinbar tust, Sein ist da. Was immer du scheinbar nicht tust, Sein ist da. Sein ist immer da gewesen, ganz gleich, was du scheinbar getan oder nicht getan hast, ganz gleich, für wie unwürdig, neurotisch, unwissend oder egoistisch du dich hältst. All diese Eigenschaften erscheinen in dem, was du bist, im Sein. Es gibt nur Sein. Und was in diesem Sein auftaucht, ist die Vorstellung, „du“ würdest existieren. Dass da jemand ist, ist nur eine Vorstellung, nur ein Gedanke.
Ihr seht also: Wie kann es sein, dass jemand etwas tun muss, damit Erwachen stattfindet? Da ist niemand – da ist nur Sein –, wie kann also irgendjemand irgendetwas tun? Warum sollte irgendjemand irgendetwas werden müssen, wenn er nur eine Vorspiegelung ist? Sollte er eine bessere Vorspiegelung werden?
Das Erwachen hat absolut nichts mit dir zu tun. Du bist nur eine Rolle in einem Theaterstück. Tony Parsons ist nur eine Ansammlung von Eigenschaften – das ist es, was hier sitzt: eine Ansammlung von Eigenschaften und ein Körper/Geist. Was du aber bist, ist das Sein, die Stille, aus dem das alles auftaucht. Alles, was hier in Wirklichkeit sitzt, ist Stille, Sein, gegenwärtiges Gewahrsein – wie immer ihr es nennen wollt.
Zu erwachen bedeutet einfach nur, eine Idee, einen Anschein gehen zu lassen – die Idee, vorzugeben, jemand zu sein. Und hier in diesem Raum ist niemand, der diese Vorstellung gehen lassen kann. Was hier geschieht, ist, dass wir auf einer Ebene sprechen und der Verstand versucht, es zu verstehen – aber auf einer anderen Ebene gibt es eine tiefere Weisheit (die wir alle sowieso kennen), die kommuniziert wird und Resonanz erzeugt und aufs Neue anerkannt wird.
Wenn diese Botschaft gehört wird, fällt das „Ich“ einfach weg. Die Vorstellung des „Ich“, der Anschein des „Ich“ ist nicht mehr da und es bleibt, was immer da ist – einfach nur Sein.
So einfach ist das. Es ist total einfach. Es ist genau hier – ihr braucht nirgendwo hinzugehen. Und ihr braucht es nicht einmal zu verstehen – versucht um Gottes Willen nicht, es zu verstehen! Und denkt nicht für eine Sekunde, dass irgendjemand will, dass ihr es glaubt – es hat nichts mit Glauben zu tun. Es ist spürbar … da ist nur Lebendigkeit. Es ist das Leben, was da sitzt.
Der Verstand will sich darüber auslassen, und das ist prima. Wenn der Verstand reden oder Fragen stellen will, lasst es einfach zu. Was geschieht, ist, dass die Fragen keine Antwort erhalten und der Verstand entdeckt, dass er nichts erreichen kann, weil dies schon der Fall ist. Der Verstand möchte sagen: „Ja, aber …“, und das ist göttlich. Keine Frage ist albern – wenn sie im Verstand umhergeht, muss sie herauskommen und beantwortet werden. Aber irgendwo will der Verstand aufgeben. Und zum Schluss sieht er einfach, dass es nur dies – Leben – gibt.
Wenn du deine Augen schließt, findest du nur Empfindungen vor. Ein Ding geschieht nach dem anderen – der Körper, der auf dem Stuhl sitzt, geschieht, ein Luftzug, der durch das Fenster strömt, geschieht, das Rascheln von Papier geschieht, die Autos geschehen… Es gibt keine Geschichte. Die Geschichte, die wir für unsere Geschichte halten, ist nichts als eine Vortäuschung, weil immer nur dies da ist.
Die Geschichte über euer Leben, die ihr euch angehört habt, geht nirgends hin. Alles, was geschieht, ist einfach nur die Einladung, zu sehen, dass nichts als dies da ist. Die ganze Zeit hat das Leben zu euch gesagt: „Schau, da ist einfach nur Leben. Da ist keine Geschichte – da ist einfach nur Leben.“
Quelle: Tony Parsons „Das ist es – Vom Ende der Illusion des Getrenntseins“, S. 17-22
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