Jesus ist der Angeklagte, aber zugleich ist er souverän. Er ist der eigentlich Handelnde. Er offenbart sich vor Pilatus als der wahre König. Doch: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“ (18,36)
Für mich ist dies der zentrale Satz der sieben Szenen vor Pilatus. Jesus kommt aus einer anderen Welt, aus der göttlichen Welt. Diese wirkliche Welt ist für Pilatus, der nur das Vordergründige sieht, verschlossen. Jesus ist der wahre König, der absolut frei ist und über sich selbst bestimmt. Über ihn hat diese Welt keine Macht.
Was Jesus von sich sagt, das gilt auch für uns. Und darin besteht für mich das Geheimnis der Erlösung, das in Jesu Passion und Sterben offenbar wird. Jeder von uns ist ein König, eine Königin. Es ist in uns eine Würde, die nicht von dieser Welt ist. Daher hat die Welt keine Macht über uns.
Das Paradox besteht für mich darin, dass diese Würde gerade in der Passion sichtbar wir, dort, wo wir schwach sind, wo wir bedrängt, verurteilt, gegeißelt, verletzt, gekränkt, hinaus gestoßen, fallengelassen, festgenagelt, durchbohrt und gekreuzigt werden.
Es gibt in uns einen Raum, in dem uns niemand verletzen kann. Meine königliche Würde kann mir niemand nehmen, auch wenn ich nach außen hin versage, schwach werde, verurteilt und gekränkt werde. […] Gerade in diesem Menschen leuchtet die Wahrheit Gottes auf. […] Jesus ist der wahre Mensch, weil er von Gott kommt.
Quelle: Anselm Grün „Jesus – Wege zum Leben“, Johannes-Evangelium, S. 566ff
∞ ∞ ∞
Ich lasse manchmal das Wort, das Jesus nach seiner Auferstehung zu den Jüngern spricht: „Ich bin ich selber“, eine ganze Woche lang meditieren. Das griechische Wort „ego eimi autos“ verweist auf die Sichtweise der stoischen Philosophie. Für die Stoiker ist „autos“ der innerste Personkern, das innere Heiligtum, zu dem die Menschen keinen Zutritt haben, den niemand verletzen kann (wie in der transpersonalen Psychologie). Das wahre Selbstvertrauen finden wir, wenn wir mit diesem innersten Zentrum in Berührung kommen. Dann sind wir ganz wir selbst. […]
Immer wieder zu sagen „Ich bin ich selber“ befreit mich mehr und mehr von meinen Rollen und Masken. Und auf einmal entsteht eine große innere Freiheit. Ich muss mich nicht beweisen. Ich bin einfach ich selbst. Ich kann dieses „selber“ nicht genau definieren. Aber ich spüre, dass da etwas in mir ist, was mir von anderen nicht streitig gemacht werden kann, was niemand zu zerstören vermag. […]
Wir haben jetzt schon teil an der Auferstehung Jesu. So dürfen wir mit dem Auferstandenen immer wieder sagen: „Ich bin ich selber“. Das lässt uns wirklich auferstehen aus dem Grab unserer Angst, nicht gut genug zu sein. Es richtet uns auf und schenkt uns eine tiefe innere Freiheit. Ich muss mich nicht beweisen, nicht unter Druck setzen. Ich bin einfach.
Das ist keine Resignation. Vielmehr ist in dieser Gewissheit „Ich bin ich selber“ eine Ahnung von dem Geheimnis, das mich ausmacht und von meiner Einmaligkeit und der Einzigartigkeit, die ich von Gott her habe. Wenn ich mir dieses Wort vorsage, höre ich auch auf, mich mit anderen zu vergleichen. Ich muss nicht besser sein als die anderen, nicht besser formulieren können, nicht selbstsicherer sein. Es genügt, einfach „ich selber zu sein.“
Quelle: Anselm Grün „Vertrauen“, S. 27f
∞ ∞ ∞
Mystik meint die Erfahrung Gottes jenseits aller Gefühle, jenseits der Gedanken und Bilder. Mystik meint die Erfahrung einer tiefen Einheit. Für die Griechen war die Zerrissenheit die große Not des Menschen. Und wir fühlen uns heute auch oft genug zerrissen, hin- und hergerissen zwischen den verschiedenen Bedürfnissen und Emotionen, zwischen widersprechenden Meinungen und Urteilen. Mystik meint die Erfahrung der Einheit.
Solche Erfahrungen tragen oft keinen besonders religiösen Mantel. Es ist eine Erfahrung, die sicher jeder von Ihnen schon einmal gemacht hat, dass er sich auf einmal ganz eins gefühlt hat. Das kann im Urlaub sein. Auf einmal haben Sie das Gefühl: Ich bin ganz ich selbst. Alles in mir ist wertvoll. Alles gehört zu mir. Es ist gut so, wie ich bin. Vom hl. Benedikt wird berichtet, dass er in einem einzigen Sonnenstrahl die ganze Welt gesehen hat. Das war so eine Einheitserfahrung.
Sie kann sich ausdrücken in dem Gefühl, dass ich auf einmal durchblicke. Auf einmal ist mir alles klar. Ich sehe nicht die Lösung der Probleme. Ich erkenne nicht bestimmte Dinge. Ich sehe vielmehr auf den Grund. Es ist alles klar und es ist alles gut. Das ist wahre Mystik. […] Da muss man sich nicht in Gefühle hineinsteigern. Da macht man eine tiefe Erfahrung jenseits der Gefühle.
Ein anderes Bild für die Mystik ist die Erfahrung des inneren Raumes. Die Mystiker sprechen vom Seelengrund oder von der inneren Zelle, vom Ort Gottes, von einem Raum des Schweigens, der in uns ist, zu dem kein Gedanke und Gefühl, kein Plan, keine Sorge, hindringen kann. Es ist der Raum, in dem Gott selbst in mir wohnt.
Und dort, wo Gott in mir wohnt, dort bin ich ganz ich selbst. Dort bin ich wahrhaft frei. Dort haben die Menschen mit ihren Erwartungen und Ansprüchen, mit ihren Meinungen und Urteilen, mit ihren Verletzungen und Aggressionen, keinen Zutritt. Dort befreit mich Gott von der Macht der Menschen, von der Macht der Probleme, dort befreit mich Gott von meinem eigenen Über-Ich, das mich unterdrückt und mir ständig vorwirft, dass ich nicht gut genug bin. In diesem inneren Raum des Schweigens bin ich im Einklang mit mir. Und dort fühle ich mich wahrhaft frei.
Die Erfahrung des inneren Raumes, zu dem die Menschen und Probleme keinen Zutritt haben, ist für mich die Bedingung, mich auf Menschen einzulassen, ohne mich von ihnen vereinnahmen zu lassen, und mich den Konflikten zu stellen, ohne von ihnen gelähmt zu werden. Dieser innere Raum gibt mir die Freiheit, die Probleme anzupacken, weil ich eine gesunde Distanz zu ihnen habe. Sie rauben mir nicht die Energie, weil sie nicht bis ins Innerste vordringen können. Und dieser Ort Gottes in mir ist für mich zugleich die Erfahrung der inneren Quelle.
Auf dem Grund meiner Seele sprudelt eine Quelle, die nie versiegt. Es ist die Quelle des Heiligen Geistes, von der Jesus uns verheißt, dass sie in uns strömen wird, wenn wir an ihn glauben. Viele klagen heute über Stress und Überforderung. Für mich ist das auch ein spirituelles Problem. Ich merke bei mir selbst den Unterschied. Wenn ich alles aus mir heraus tun will oder wenn ich arbeite, um mich zu beweisen, um vor andern und vor mir selbst gut dazustehen, dann bin ich bald erschöpft.
Ich kenne viele, die ausgebrannt sind, weil sie sich in ihrer Arbeit verausgaben. Wenn ich in Berührung bin mit der inneren Quelle, dann sprudelt es aus mir heraus, ohne dass es mich anstrengt. Denn ich weiß um diese Quelle, die nie versiegt, weil sie göttlich ist. Es geht für mich nicht nur um das richtige Maß an Arbeit, sondern auch um das Woher meiner Arbeit. Arbeite ich aus mir heraus oder strömt mein Tun aus der inneren Quelle?
Die Arbeit, die aus der inneren Quelle fließt, zeichnet sich aus durch eine andere Qualität, durch die Qualität der Freiheit, des Spielerischen, des Kreativen. Und sie ist auf Dauer effektiver als eine Arbeit, in der ich mich ständig beweisen muss, in der ich nur um mich kreise und daher keinen Blick mehr für neue Möglichkeiten und unkonventionelle Lösungen habe.
Yasemin
Hallo Bruder,
ich verfolge seit längerem schon deine Seite,.
Heute möchte ich Dir danken und
Dir mitteilen, dass ich diese Arbeit einfach toll finde. Eine schöne, interessante
Auswahl.
Eine intensive Osterzeit
Yasemin
Ingo Zacharias
Danke! Schön, dass dir die Artikel gefallen.
Marion Markert
Marion
Hallo Bruder
Danke für den wunderbaren Artikel, habe ihn heute zum ersten Mal gelesen!
Danke dafür!
Liebe Grüße
Marion
Ingo Zacharias
Gerne!