Du kennst sicherlich Momente, in denen du einfach nur da warst. Momente, in denen du einfach nur geschaut oder gehört hast. Momente, in denen du wortlos wahrgenommen hast, was gerade passiert. Oft sind es Momente in der Natur, in denen es still wird im Kopf. Für eine kurze Zeit sind da keine Gedanken über Vergangenheit und Zukunft und selbst die Einordnung und Bewertung dessen, was da gerade im Bewusstsein auftaucht, geschieht nicht.
Nur das Rauschen des Windes, das Rascheln der Blätter, die weißen Wolken am blauen Himmel, das Zwitschern der Vögel, ein vorbeilaufendes Reh, ein Autogeräusch in der Ferne – all das wird wahrgenommen, ohne dass es von Gedanken in Begriffe gefasst wird, wie ich sie gerade zur Beschreibung verwenden muss. Da ist einfach nur das. Jetzt.
Vielleicht kennst du diese wortlose Einheit zwischen Erlebendem und Erlebtem auch aus der Meditation oder wenn du bei einer schöpferischen Tätigkeit im „Flow“ bist. Aber wann auch immer du die Stille erlebst, irgendwann tauchen wieder Gedanken auf. Und wenn du dann das Erlebte in Worte fassen willst, sagst du Sätze wie: „Ich habe eben die Stille in der Natur genossen“ oder „Ich bin ganz in meiner Arbeit aufgegangen“. Ganz selbstverständlich halten wir dabei die Worte für eine Beschreibung der Realität, nämlich dass „Ich“ verschiedene „Dinge“ in Stille erlebt oder getan habe.
Doch woher sind wir uns da so sicher? Ist es vielleicht pure Gewohnheit, so wie wir morgens sagen, „Ich habe lange geschlafen“, auch wenn es gar keine wirkliche Erinnerung an ein „Ich“ während der meisten Zeit des Schlafens gibt?
Ein Gedankenexperiment
Stell dir einmal vor, du könntest 3 Stunden lang keinen einzigen Gedanken denken. Stell dir vor, du sitzt an einem warmen Sommertag an einer Waldlichtung auf einer Bank, bist innerlich hellwach – all deine Sinne sind also „voll auf Empfang“ –, aber es tauchen keinerlei Gedanken auf.
Du sitzt einfach da und erlebst wortlos, was in der Natur geschieht. 3 Stunden lang. Immer wieder tauchen neue Eindrücke auf. Sehen, hören, riechen, fühlen findet statt, ohne dass es zu einer Bewertung oder Benennung des im Augenblick Erlebten kommt.
Nimm dir einige Augenblicke, um dich in die Situation hineinzuversetzen. Spüre die Stille und wie da ein einfaches, wortloses Wahrnehmen ist. Durch nichts zu unterbrechen…
Und jetzt frage ich dich: Woher wüsstest du dann, was du da alles wahrnimmst? Und vor allem: Woher wüsstest du, dass „du“ es bist, der all das wahrnimmt?
Woher wüsstest du in diesen unzähligen Momenten von „deiner“ Existenz, wenn kein Gedanke da ist, der sagt: „Ich sehe/höre/spüre/rieche“?
Könntest du ohne Worte überhaupt eine Trennung in „Innen“ und „Außen“ vornehmen? Könntest du im direkten Erleben spüren „Das hier bin ich – der Erlebende“ und „Das dort bin ich nicht – das ist das Erlebte“?
Wenn du dich in diese Situation hineinversetzt, kannst du vielleicht spüren, dass da einfach nur Wahrnehmen ist. Reine Wahrnehmung, reines Erleben – ohne den Hauch eines Gedankenfilters, der das Erleben in einen Wahrnehmenden und in das Wahrgenommene aufteilt.
Selbst die gewöhnliche Aufteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist nicht auffindbar. Da ist nur Erleben, Erleben, Erleben – jetzt, jetzt, jetzt.
Wer ist der Erlebende?
Und nach 3 Stunden berührt dich jemand an und sagt: „Hallo, was machst du denn hier?“ Was könntest du berichten von der ersten Stunde, von der zweiten Stunde und von der dritten Stunde? Im Gegensatz zu den kurzen Momenten der Stille, bei denen wir ganz schnell scheinbar sagen können, dass „ich“ eben „das“ erlebt habe, wäre das hier ungleich schwieriger, oder? Ich würde sogar sagen, es wäre unmöglich. Wahrscheinlich würdest du ein globales Bild des Geschehenen entwerfen, etwa „Ich habe hier lange die Natur genossen“. Aber könntest du genau sagen, was in diesen 3 Stunden alles passiert ist? Und wem es passiert ist?
Da war bloß eine Wachheit, eine Bewusstheit, und zugleich ein Sein wie im traumlosen Schlaf. Ohne die Fähigkeit, dich deiner selbst über Gedanken zu vergewissern und einzelne Objekte in der Welt zu identifizieren, weißt du im Moment des Erlebens nichts über das Erleben zu sagen. Absolut nichts. Noch nicht einmal, dass da ein Erleben stattfindet.
Und doch warst du nicht nicht da. Du warst nicht tot. Aber du warst nicht im gewöhnlichen Sinne da als Person mit deiner persönlichen Geschichte und deiner ganz eigenen Form des Erlebens – oder besser: deiner eigenen Form der Benennung und Bewertung des Erlebens. Du warst nur da als reines Bewusstsein, reines Gewahrsein.
Dieses Gedankenexperiment macht deutlich, dass dieses Bewusstsein viel größer und umfassender ist als dein Person-Sein. Es ist da vor und nach deinem Person-Sein. Und letztlich ist es sogar da, während du dich als existierende Person ansiehst.
Es ist jetzt da, während du diese Zeilen liest. Denn bei genauer Selbst-Erforschung im gegenwärtigen Augenblick wird deutlich, dass auch jetzt gerade dein Person-Sein nur eine Täuschung aufgrund von Gedanken und dazugehörigen Bildern ist. Das, was jetzt liest, ist, wie in der Zeit auf der Bank, reines Bewusstsein.
Das ist deine Essenz. Das ist, was du wirklich bist. Reines Bewusstsein. Zeitlose Präsenz. Einfaches wortloses Sein.
Und darin liegen eine Freiheit und ein Frieden, die – im wahrsten Sinne des Wortes – unbeschreiblich sind.
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