„Unbeständigkeit (das Relative) ist total, vollständig, kompromisslos, absolut. Es ist nicht so, dass das Universum aus unzähligen Objekten besteht, die im Fluss sind. Da ist nur der Fluss. Nichts bewegt sich innerhalb des Flusses, wie ein Korken in einem Strom; nichts entsteht oder vergeht wirklich. Da ist nur der Strom.“ – Steve Hagen

„Wenn nichts beständig ist, was kann dann unbeständig sein, beides oder keins von beiden?“ – Nagarjuna

Sich über den Tod sorgen zu machen ist so als würden wir uns sorgen machen, was mit uns passiert, wenn wir von der Kante der flachen Erde fallen. Das Problem existiert nur in der Vorstellung. Was stirbt? Was wird geboren?

Wir sagen vielleicht, mein Baby Bobby wurde geboren. Aber was ist Bobby? Dieses Baby, das wir Bobby nennen, entstand aus anderen Lebensformen und ist vollständig abhängig von Luft, Nahrung, Wasser und Beziehungen mit anderen Menschen, um zu überleben und sich zu entwickeln. Die sich immer verändernde Erscheinung, die wir Bobby nennen, ist niemals außerhalb des Bewusstseins zu finden, und mein Bobby ist nicht genau der gleiche wie dein Bobby. Mein Bobby ist nicht einmal der gleiche von einem Augenblick zum nächsten. Manchmal ist er lustig, manchmal ist er verwirrend, manchmal ist er offenherzig, manchmal ist er selbstgerecht.

Auf jeder Ebene, von der subatomaren zur organischen zur neurochemischen zur emotionalen zur kognitiven, ist “Bobby” nichts außer konstantem Fluss und Unbeständigkeit. Tatsächlich ist „Bobby“ eine begriffliche Abstraktion – funktional sinnvoll und relativ wirklich –, aber letztlich ist sie so verschieden von der sich immer wandelnden Aktualität von Bobby wie eine Karte verschieden ist von der Landschaft, die sie beschreibt. „Bobby“ ist eine abstrakte Idee, die dem Embryo, dem Baby, dem Kleinkind, dem Jugendlichen, dem Erwachsenen, dem alten Mann und dem toten Körper die Illusion von Kontinuität verleiht. Aber wenn wir genau hinschauen, entweder mit wissenschaftlicher oder meditativer Erforschung, können wir in Wirklichkeit nicht irgend-etwas finden, dass fortdauert von einem zum nächsten Moment.

Vielleicht entscheidet sich Bobby irgendwann, sein Geschlecht zu ändern und verwandelt sich in Roberta. Oder vielleicht zieht er in den Krieg und kommt zurück ohne Gliedmaßen, mit einem verbrannten Gesicht oder mit einer traumatischen Gehirnverletzung, die seine verbalen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten vollständig verändert. Vielleicht war Bobby im Alter von 25 ein wilder Radikaler und ist im Alter von 65 ein streng Konservativer (oder umgekehrt). Wo in all dieser sich immer wandelnden Bewegung ist „Bobby“?

Schließlich sagen wir, dass Bobby gestorben ist. Aber was genau ist gestorben? Wir können nicht die Realität leugnen, dass etwas, was wir Bobby genannt haben, nicht länger unter uns ist, aber genauso wenig können wir wirklich finden oder festmachen, was das war. Vielleicht gibt es Geburt und Tod in jedem Augenblick, und vielleicht gibt es kein festes Etwas, das beginnt oder endet.

Wir fürchten den Tod, weil die Sache, die wir am meisten schätzen, unser Sein ist – das nicht zu leugnende Gefühl von bewusster Präsenz, das wir zu verschmelzen lernen mit der begrifflichen Abstraktion, die wir Körper und Geist nennen. Aber dieser Körper-Geist existiert nicht als das getrennte, kontinuierliche, unabhängige „Ding“, das wir denken, dass es ist.

Und dieses Gefühl von bewusster Präsenz verschwindet jede Nacht im Tiefschlaf und niemand ist da, um es zu vermissen. Jede Nacht endet unser einzigartiger Film des Lebens im Wachzustand komplett – und der Phantombeobachter endet auch. Niemand ist mehr da, um die Show zu vermissen. Wir finden das erfrischend und regenierend, nicht erschreckend. Aber wenn wir über den Tod nachdenken, stellen wir uns vor, lebendig begraben zu sein, unfähig, den Fernseher wieder anzuschalten und herauszufinden, was als nächstes in der Geschichte von Mir passiert. Diese Angst ist wie die Angst, über die Kante der flachen Erde hinauszutreten.

Joan Tollifson

Wenn wir in die Natur schauen, sehen wir, dass alles endlos wieder verwendet wird. Es gibt kein Ende und keinen Anfang. Da ist eine nahtlose, grenzenlose Bewegung, die immer Hier/Jetzt in diesem zeitlosen, raumlosen, ortlosen Ort ist – der bodenlose Boden, den die Buddhisten Leerheit und die Advaita-Menschen das Selbst nennen.

Und wie der buddhistische Lehrer Stephen Batchelor so wunderbar sagt: “Leerheit ist kein Zustand, sondern ein Weg.“ Sie ist kein Konzept, dass wir irgendwann verstehen. Sie ist das Aufwachen in jedem Augenblick von der dualistischen Illusion von Trennung und Festigkeit. Sie ist das Entspannen in den freien Fall des Lebens wie es ist, erkennend, dass dort niemand fallen kann und kein Boden getroffen werden kann.

“Bobby” war eine Schöpfung von Rauch und Spiegelungen wie die Illusion der Kontinuität und Erzählung, die von den Seiten eines Daumenkinos oder den Bildern in einem Film, die in schneller Abfolge erscheinen, erschaffen wird. Bobby war genauso eine Aktivität der Totalität wie die Welle eine Aktivität des Ozeans ist. Da ist keine wirkliche Grenze zwischen einer Welle und einer anderen, und keine Welle ist in irgendeiner Weise nasser oder dem Wasser ein Stückchen als irgendeine andere Welle.

Unsere wahre Unsterblichkeit besteht nicht darin, gegen den Tod anzukämpfen und den Körper für immer am Leben zu erhalten, noch besteht sie in einer individuellen „Seele“, die den Körper verlässt und entweder in den Himmel geht oder sich in einem neuen Körper reinkarniert. Unsere wahre Unsterblichkeit besteht darin, zur nahtlosen Leerheit aufzuwachen, die ohne Anfang oder Ende ist.

Genauso wie ein Auge nicht sich selbst sehen kann, die Hand sich nicht selbst ergreifen kann, das Feuer sich nicht selbst verbrennen kann und das Schwert sich nicht selbst schneiden kann, genauso kannst du niemals diese Grenzenlosigkeit finden, weil du nicht getrennt davon bist und „sie“ kein „Ding“ ist, das man ergreifen kann.

Um diese Nahtlosigkeit zu realisieren, muss man durch das torlose Tor der Erleuchtung gehen. Das Tor ist torlos, weil, wenn die Illusion des Getrenntseins durchschaut ist, wenn die Blase der augenscheinlichen Einkapselung aufbricht, du erkennst, dass du niemals nicht hier warst. Und es ist klar, dass dort niemals jemand war, der durch irgendein Tor gegangen ist. Nichts hat jemals gefehlt.

Aber gleichzeitig ist da der nicht zu leugnende und lebensverändernde Unterschied, das bewusst zu realisieren und verwirrt und gefangen zu sein in der Geschichte von Trennung und Mangel. Deshalb wird gesagt, dass es ein Tor gibt und nicht, dass es überhaupt kein Tor gibt. Wie sagte der große Advaita-Weise Nisargadatta: „Deine Almosenschale mag aus reinem Gold sein, aber so lange du das nicht weißt, bist du arm.“

Aufwachen ist wie Sterben. Sterben zur Vergangenheit. Sterben zum Bekannten. Sterben zu all deinen Gedanken, Ideen und Vorstellungen. Sterben zu dem, wer und was du glaubst zu sein. Sterben zu allen Hoffnungen auf etwas Besseres. Sterben zu Allem. Jeden Versuch loszulassen, etwas festzuhalten. Alles zu verlieren, das verloren werden kann, und zu entdecken, was bleibt.

Quelle: Joan Tollifson „Death and The Deathless“, eigene Übersetzung