„Für mich selbst bin ich weder wahrnehmbar noch vorstellbar. Da ist nichts, auf das ich zeigen und zu dem ich sagen kann: ‚Das bin ich’. Du identifizierst dich so leicht mit allem. Ich finde das unmöglich. Das Gefühl ‘Ich bin nicht dieses oder jenes, noch ist irgendetwas meins’ ist so stark in mir, dass sobald ein Ding oder ein Gedanke erscheint, sofort das Empfinden entsteht ‘Das bin ich nicht’.“ – Nisargadatta Maharaj

„Ich bin einfach das, was in diesem Augenblick geschieht. Dort liegt meine wahre Identität – im Hier und Jetzt, nicht in der zeitgebundenen Geschichte über mich.“ – Jeff Foster

Mehr und mehr suchen Menschen nach Zufriedenheit, Gelassenheit und Glück, indem sie sich bewusst ihrem Körper und ihrem Geist zuwenden. Dazu machen sie Yoga, praktizieren Achtsamkeit, meditieren, verbringen Zeit in der Natur oder nutzen psychologische Ansätze. Direkt oder indirekt geht es dabei immer auch um die Arbeit an eigenen belastenden Gedanken.

All das sind gute Methoden, um die oft enge Gedankenwelt zu erweitern und mehr Gelassenheit und Selbstzentriertheit zu finden. Jedoch bleibt die Überzeugung, dass es sich bei den Gedanken um „meine“ Gedanken handelt und in ihnen ein reales „Ich“ beschrieben wird, für die meisten eine nicht hinterfragte Realität. Die grundlegende Identifikation mit dem Gedanken-Ich bleibt unangetastet.

Das hat zur Folge, dass trotz positiver Veränderungen eine tief greifende, von den Bedingungen des Augenblicks unabhängige Zufriedenheit auch nach vielen Jahren nicht eintritt. So bin „Ich“ weiter auf der Suche, um „mich“ und „meine“ Freiheit zu finden. Dabei übersehen wir, dass genau diese Überzeugung – die selbst nichts anderes als ein Gedanke ist – der entscheidende Grund für unser immer wieder auftretendes Leiden ist.

Viele spirituelle Traditionen raten uns, das „Ich“ wie ein Forscher einem Realitätscheck zu unterziehen und zu erkennen, dass es nicht so existiert, wie wir es ganz selbstverständlich wahrnehmen: als etwas Eigenständiges und Dauerhaftes. Wenn klar gesehen wird, dass dieses „Ich“ außerhalb von Gedanken nicht zu finden ist, gibt es auch niemand mehr, der sich real existierend als „Der Leidende“, „Der Unzufriedene“ oder „Der Suchende“ bezeichnen könnte. Und wo kein Leidender ist, ist auch kein Leiden mehr!

Die Identität verlagert sich durch diese Erkenntnis vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität, zum unmittelbaren Sein dieses Augenblicks. Im täglichen Leben ändert sich nichts offensichtliches, es gibt weiterhin ein „Ich“ und eine Person, aber zugleich können wir mit dem Wissen um unsere tiefste Identität nichts mehr wirklich persönlich nehmen. Was für eine Freiheit, was für eine Leichtigkeit!

Diese Erkenntnis soll nun nicht zu einer neuen Überzeugung im Kopf werden, sondern muss in unmittelbarer Anschauung realisiert werden. Dazu gibt es verschiedene Wege. Ein besonders kraftvoller und direkter Weg ist die spirituelle Selbsterforschung. Im Folgenden möchte ich eine von mir entwickelte Variante der Selbsterforschung anhand meiner eigenen Erfahrungen beschreiben. Zugleich lade ich dich ein, deine eigenen – hoffentlich befreienden – Erfahrungen damit zu machen.

Durch das Nadelöhr der Befreiung gehen

Vor einigen Jahren wurde mir bewusst, dass ich genau hinschauen muss, ob das „Ich“ wirklich so existiert, wie ich es tagtäglich empfinde, wenn ich es ernst meine mit meinem spirituellen Weg und der Sehnsucht nach einem leidfreien Leben. Ich spürte, dass ich durch dieses Nadelöhr der Befreiung gehen muss oder ewig ein Suchender bleiben werde.

Zunächst schaute ich mir an, wie ich mich selbst betrachtete. Bedenkenlos sagte ich, „Guck mal, auf diesem Foto bin ich drei Jahre alt“ oder „Ich war schon mal in Indien. Da würde ich gerne noch einmal hinfliegen.“ Ich empfand „mich“ als etwas Dauerhaftes, als eine feste und getrennte Einheit, bei der sich zwar vieles geändert hat und ändern wird (z. B. Aussehen, Ansichten, Vorlieben, Tätigkeiten, Gesundheitszustand), aber die doch irgendwie etwas Konstantes und Eigenständiges jenseits all dieser Veränderungen ist.

Aber was genau ist dann dieses „Ich“? Ist es der Körper? Der Geist? Beides zusammen? Oder ein Teil von einem oder beiden? Oder keins von beiden?

Hmm. Gar nicht so einfach zu beantworten, oder?

Trotz der Schwierigkeiten beim konkreten Auffinden dieses Ichs war mir durch meine spirituelle Praxis klar, dass mein Gefühl für seine Realität am stärksten durch die Gedanken bestimmt wird.

Deshalb konzentrierte ich die Selbsterforschung auf den Geist und das Gedanken-Ich, also auf alle Gedanken, in denen es um „(m)ich“ und „mein“ geht, etwa „Meinem Körper geht es wieder besser“, „Ich fühle mich unfair behandelt“, „Ich muss das jetzt so haben“ oder „Ich bin jemand, der Wandern mag, aber kein Bergsteigen“.

Klar war mir auch, dass ständig Gedanken auftauchen, etwas mitteilen und dann wieder verschwinden. Selbst wenn sie gerade ganz wichtig erscheinen, zu langen Gedankenketten führen und von starken Emotionen begleitet werden: irgendwann ist auch dieser Sturm verschwunden und andere Gedanken und andere Gefühle treten an ihre Stelle. Garantiert.

Ich fragte mich: Wie kann „Ich“, das Dauerhafte, dieser momentane Gedanke sein? Dieser Gedanke, der – wie alle anderen Gedanken auch – flüchtig ist? Wie kann ich sagen: Das ist „mein“ Gedanke? Wo ist das „Ich“, das Besitzer dieses Gedankens ist?

Wie können die Gedanken etwas über „mich“, das Beständige, aussagen oder mich sogar definieren, wo doch die Inhalte der Gedanken über „mich“ ständig wechseln? Selbst wenn manche der Aussagen, wie „Das kriege ich nicht hin“, immer wieder auftauchen, sind sie doch nicht immer da, sondern werden durch andere, zum Teil gegensätzliche Ich-Beschreibungen abgelöst.

Manchmal sind auch kurze Pausen. Momente, in denen keine Gedanken da sind, sondern einfach nur schauen, hören oder fühlen. Wer bin „Ich“ dann? Offensichtlich existiere „Ich“ auch ohne Gedanken?!

Alle Gedanken sind unbeständig, flüchtig. Ohne Ausnahme. Manchmal sogar durch Gedankenpausen unterbrochen. Daraus folgt, dass „Ich“ all diese Gedanken nicht sein kann, sonst würde ich mit jedem Gedanken verschwinden und mit dem nächsten Gedanken neu entstehen. Dann gäbe es ständig neue „Ichs“!

Wo bin „Ich“ – als dauerhaftes Wesen, als „Ingo Zacharias, geboren am …, wohnhaft in …, mit dieser ganz persönlichen Geschichte und verschiedensten Erlebnissen und Handlungen“ – außerhalb von Gedanken zu finden?

Was bleibt von mir, wenn dieser Gedanke endet?

Während eines Urlaubs an der Ostsee ging ich jeden Tag viele Stunden am Strand spazieren, fest entschlossen, dieses „Ich“, das leidet, zu finden. Ich stellte mir die Frage „Was bleibt, wenn dieser Gedanke endet?“ Damit meinte ich: „Was bleibt von mir, wenn dieser Gedanke endet?“

Selbsterforschung am Meer

Selbsterforschung am Meer

Zunächst versuchte ich, den Atem zu spüren, das Geräusch der Wellen zu hören, den Wind auf der Haut wahrzunehmen oder den Sand unter den Füßen zu spüren – ohne diese unmittelbaren Empfindungen gedanklich zu bewerten oder konzeptionell einzuordnen. Ich versuchte also nicht zu sagen, „Das ist jetzt aber toll“ oder „Die Brandung ist heute viel stärker als die Tage vorher“. Die Sitzmeditation wurde auf den Strandspaziergang verlagert.

Natürlich taten mir die Gedanken diesen Gefallen nicht. Sie bewerteten, ordneten ein, und noch viel schlimmer, verloren sich immer wieder in Geschichten, die mit der momentanen Szenerie überhaupt nichts zu tun hatten. „Ich brauche jetzt etwas zu essen!“, „Was soll das hier alles bringen?“ oder „Das kann ja wohl nicht alles sein. Ich muss mich doch mehr in dieses Leben einbringen und hier nicht einfach nur sinnlos rum laufen!“ waren nur einige der aufpoppenden Sätze.

Diese Sätze wurden wiederum von Sätzen wie „Wieso hänge ich denn so in diesen Gedanken fest?“ und „Ich werde es nie schaffen, mich aus der Identifikation mit den Gedanken zu lösen.“ kommentiert. Eine vertraute Gedankenspirale…

Ohne jede Reflektion waren diese Gedanken zunächst einmal meine Gedanken, meine Realität und sagten etwas über mich aus. Doch irgendwann tauchte die Frage auf: „Was bleibt, wenn dieser Gedanke endet?“ Immer mit der dahinter stehenden Überlegung: „Wer bin ich wirklich – als beständiger Eigentümer und Adressat all dieser leisen und lauten, aber letztlich doch immer flüchtigen Gedanken?“

Dieser flüchtige Gedanke zumindest kann ‚Ich’ nicht sein. Also was bleibt dann von mir?“ Augenblicklich fiel der Gedanke ins Nichts und es wurde still. Still in dem Sinne, dass nur noch die unmittelbare Wahrnehmung des Augenblicks da war. Als erstes trat ganz oft das Spüren des Atems ins Bewusstsein. Dann kamen der Wind, das Wasser, der Himmel oder etwas anderes hinzu. Bis der nächste Gedanke aufkam und sich in den Vordergrund drängte.

Doch selbst wenn ich in einem Gedanken versunken war und der Gedanke etwas wichtiges über mich auszusagen schien, führte das Wissen um die Vergänglichkeit auch dieses Gedankens dazu, dass früher oder später wieder die Frage auftauchte: „Und was bleibt, wenn dieser Gedanke endet?“

So wurde auch dieses Gedanken-Ich wieder losgelassen. Und wieder trat die Stille, die reine Wahrnehmung, ein.

Manchmal jedoch waren die Gedanken so stark, dass sie zu sehr intensiven Emotionen führten und mich zu überrollen drohten. Dann half mir zusätzlich die Praxis des absichtlichen Denkens, wieder zur Frage „Was bleibt…?“ zurückzukehren und in die reine Wahrnehmung zu „fallen“. (Eine ausführliche Beschreibung dieser Praxis findest du im folgenden Blogartikel.)

Einfach nur sein

Ja, was bleibt – von mir?

Da war ein wortloses Dasein, ein Dasein mit einem Fluss unablässig wechselnder Wahrnehmungen. Einfach das. Jetzt. Und niemand, der als greifbare Person, als dauerhaftes „Ich“, dahinter gefunden werden konnte.

Einfach nur sein. Einfach nur Gewahrsein. Einfach nur Präsenz. Ein fließender Raum des Jetztseins. Erlebbar, aber nicht fassbar. Etwas, das kein Etwas war, aber auch nicht Nichts. Ein „Ort“, an dem keine Trennung in Innen und Außen mehr auszumachen war.

Bin „Ich“ in Wirklichkeit das? Ja, offensichtlich – auch wenn kein Gedanke dazu jemals „Ich“ sagen kann.

Es wurde deutlich, dass die Gedanken genauso im Gewahrsein erscheinen, da sind und wieder verschwinden, wie alles andere auch. Vom Standpunkt des reinen Gewahrseins macht es überhaupt keinen Unterschied, ob da das Geräusch des Wassers, ein Windhauch oder ein Gedanke ist. Sie alle sind gleich nah und gleich entfernt vom Gewahrsein.

Und sie werden nur zu einem Problem, wenn das Bewusstsein dieser tieferen Identität verloren geht und es wieder zur alleinigen Identifikation mit dem Gedanken-Ich kommt.

Während der Selbsterforschung standen zunächst die bewertenden, unzufriedenen und klagenden inneren Stimmen im Vordergrund, aber mit der Zeit traten immer mehr ein großes Freisein und eine große Leichtigkeit an ihre Stelle. Sogar ein Gefühl, das man Glückseligkeit nennen könnte, machte sich breit in diesem stillen Raum der Gegenwärtigkeit und weitete sich über die Zeit der Strandspaziergänge aus.

Vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität

So wurde diese Selbsterforschung zum Anfang des Endes der Identifikation mit dem Gedanken-Ich. Trotz vieler spiritueller Erkenntnisse und Erfahrungen zuvor (die sicherlich den Weg für diese Praxis bereitet haben) wurde erst jetzt wirklich deutlich, dass es nicht darum geht, dass „Ich“ irgendwo ankomme, sondern zu erkennen, dass dieses suchende und vermeintlich dauerhafte, personale „Ich“ nicht zu finden ist – außer als Gedanke.

Zu Hause waren die Praxis und das Gefühl von Leichtigkeit zunächst sehr präsent. Mit der Zeit flachte diese Klarheit und Bewusstheit ab und die Identifikation mit dem Gedanken-Ich wurde wieder stärker. Und trotzdem: Die alte, ausschließliche Identität war durchbrochen und das Selbst-Erleben begann sich langsam vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität zu verlagern.

Identifikationen mit dem Gedanken-Ich sind auch heute nicht vorbei. Aber das Person-Sein ist zunehmend in das einfache Sein eingebettet und wird aus dieser umfassenderen Perspektive wahrgenommen. Im Alltag agiere ich wie bisher, nur begegne ich inneren und äußeren Geschehnissen mit viel mehr Offenheit und Leichtigkeit.

Wenn die Identifikation wiederkommt und zu Leiden führt, taucht immer schneller die Frage auf: „Was bleibt, wenn dieser Gedanke endet?“ Und im dann sichtbar werdenden einfachen Sein, im reinen Gewahrsein, verliert der Glaube, dass „Ich“ in der Essenz dieser Gedanke bin oder durch ihn definiert werde, wieder ein Stück seiner Kraft…