Wir sehen uns selbst als dauerhafte Entitäten, die sich durch die Zeit bewegen, als wäre Zeit ein Medium. Dinge geschehen, die wir wahrnehmen und auf die wir reagieren. Wir tun Dinge. Wir sind berührt von dem, was passiert. Obwohl uns das Leben verändert, scheint es eine grobe Kontinuität des Selbst zu geben, erkennbar von Tag zu Tag, Jahr zu Jahr, wie die Identität sich durch seine Einflüsse bewegt.

Der Eindruck eines stabilen Selbst, einer vorhandenen Person, die bestehen bleibt über die Zeit, geschieht, wenn eine Person denkt. Sie wird niemals direkt erlebt in einem Moment des Lebens.

Es ist eine Sache, über sich selbst nachzudenken, sich Vorstellungen und Wissen wieder anzuschauen, nachzudenken über eine frühere Zeit oder eine projizierte Zukunft, und sich die Einflüsse von Erfahrungen auf das Selbst vorzustellen. Aber es ist eine vollständig andere Sache, das gegenwärtige Leben zu erfahren.

Die direkte Empfindung von was immer das Leben dieses Tages dir auftischt – diese Sache, die gerade jetzt geschieht, wenn du mitten drin bist, es wirklich tust, fühlst, engagiert und wach bist – das ist der einzige Zustand, in dem eine Person direkt wahrnimmt, dass hier jemand ist. Ein Moment gelebten Lebens ist die einzige Umgebung, in der du ein existierendes Selbst empfinden kannst.

Nur wenn der Geist das Leben ergreift, entweder mittendrin oder danach, geschieht das andere – die Erscheinung, dass hier ein fortdauerndes Selbst ist, das sich durch die Zeit bewegt (als wäre Zeit ein reales Ding).

Jan Frazier

Jan Frazier

Die Vergangenheit und die Zukunft können nicht erlebt werden. Sie können nur geistig verarbeitet werden. Vergangenheit und Zukunft existieren nur in der Form von Gedanken. Zeit hat buchstäblich keine Existenz unabhängig von unserem Denken über etwas „in der Zeit“. Das Verstehen von Konditionierungen, Vorstellungen und Werten einer Person – all dies kann nur „zum Leben erweckt“ werden als mentale Aktivität.

Wenn die Aufmerksamkeit auf dem Unmittelbaren ist (was immer der spezielle “Inhalt“ sein mag), wenn da kein Widerstand mit im Spiel ist, ist die Erfahrung, dass du der Moment bist. Du nimmst das nicht bewusst wahr, aber etwas in deinem vitalen Selbst spürt es. Da ist kein „du“, das eine Erfahrung macht. Nichts von dir existiert getrennt vom sich entfaltenden Moment, „in“ dem du bist – der du buchstäblich bist.

Der Geist (der keine Orientierungspunkte außerhalb von mentaler Aktivität hat) kann dies unmöglich verstehen. Tief mit dem eifrigen Erschaffen des Selbstbildes beschäftigt, reagiert das Ego verstört auf die Idee, dass das Selbst keine wirkliche Existenz hat. Eine Person würde gut daran tun, die Anstrengung zu unterlassen, den Ego-Geist von dieser Tatsache zu überzeugen.

Das Selbst, das jeder von uns scheinbar ist – das geistig erschaffene Bild – ist nicht etwas, das jemals direkt erfahren werden kann. Es ist nicht erlebbar, weil das Wesen, das wir denken zu sein, nur als ein sagenhaft komplizierter Gedanke existiert, ein Mischmasch aus Erinnerungen, Vorstellungen, Angst und Verlangen.

Wir können nicht aufhören zu denken, darüber nachzudenken, was gerade passiert ist, zurück zu schauen auf das Leben und zu sehen, was sich über die Jahre ereignet hat. Es ist natürlich, Entwicklungen wahrzunehmen, Veränderungen zu erkennen, von Erfahrungen zu lernen, oder wissen zu wollen was kommt. Dies ist kein Argument zu versuchen, irgendeine dieser normalen (und manchmal hilfreichen) menschlichen Tendenzen zu stoppen.

Aber zu sehen, dass der geistige Inhalt keine unabhängige Existenz in der Realität hat, hilft, die Aufmerksamkeit und Lebendigkeit wieder auf das zu lenken, was genau hier jetzt ist, was unmittelbar geschieht – auf den Ort, wo das Leben stattfindet. Wie auch immer wahr, triftig oder nützlich jede Gedankenkette sein mag, alles, was vom Geist produziert wird, ist weit weg vom Leben selbst. Das ist sehr hilfreich zu sehen.

Das hier, ist, wo wir existieren. Das gegenwärtige Erleben ist eine Ebene von Realität jenseits von allem, was der Geist zur Sprache bringen kann, eingeschlossen seine Anstrengungen, dich zu definieren. Wie schlau oder mitfühlend die Wahrnehmungen des Geistes auch sind, sie sind notwendigerweise auf Abstand, auf einer unterscheidenden Entfernung, vom Leben selbst.

Wenn du fühlst zu sein, weil du mit einem Freund lachst, dich wirklich krank fühlst, ganz beschäftigst mit einem kleinen Kind bist, das dir eine Geschichte erzählt, oder du auf Höchstleistung joggst, in der Sonne sitzt, eine Wand bemalst, in der Erde gräbst, ein Lied singst, das dir das Herz bricht – wenn du, kurz gesagt, wirklich lebendig bist, fühlst, dass du hier bist, dieses Erleben habend, diese Form, die das Leben genau jetzt annimmt.

Das ist die Realität, deine Realität, und alles, was du vom Leben hast (oder jemals haben wirst).

Was immer sonst dort sein mag – der ganze Rest, jedes Stück erinnerten oder vorgestellten Lebens – ist auf einer anderen Ebene der Dinge. Es existiert nicht, außer du denkst es in das Sein. Wie viel Vergnügen es auch bringen mag, oder wie viel Kraft es hat, Trauer zu erzeugen, es bleibt, dass es keine unabhängige Existenz außerhalb des Geistes hat.

Du (wie du gewohnt bist, über dich selbst zu denken) existierst nicht, außer wenn du dich selbst ins Sein denkst.

Die einzig wahre Existenz einer Person ist hier und jetzt, in der tatsächlichen Begegnung mit dem, was ist. Wir sind radikal vergänglich, wir sind ständig im Fluss. Wir erscheinen nur anders, wenn wir über uns nachdenken. Wenn es dem Eindruck des Seins als eine feste Einheit erlaubt wird, sich aufzulösen, wenn das vom Geist erzeugte Selbstbild aufhört, ein Orientierungspunkt zu sein, dann wird das Leben gelebt.

Das Leben ist immer neu, genau wie wir.

Quelle: Jan Frazier „Radically Transient“ (eigene Übersetzung)