Ingo Zacharias

Freiheit des Jetzt

Vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität

Rupert Spira: Ich gehe niemals irgendwohin

Ich bin in einem Zug zum Flughafen Heathrow auf meinem Weg in die Vereinigten Staaten – das ist zumindest das, was die Gedanken sagen. Das Erleben sagt mir, dass ich nirgendwohin gehe. Ich bin immer an dem nicht lokalisierbaren Ort des Erlebens. Nirgendwohin gehend.

Wahrnehmungen fließen durch mich hindurch. Anblicke, Geräusche, Strukturen, Geschmacksrichtungen und Gerüche fließen durch mich hindurch. Und Gedanken verbinden diese zu einer Geschichte, die sagt: „Ich, diese Ansammlung von Gedanken und Empfindungen genannt der Körper und der Geist, bewegt sich durch die Welt“. Aber das Erleben sagt nichts dergleichen. Das Erleben sagt: „All diese fließen durch mich hindurch“. Gebäude, Kabelleitungen, Züge, Geräusche, Anblicke: All diese bewegen sich durch mich. Ich bewege mich nicht durch sie.

Die Gedanken sagen, dass ich mich auf einen Ort, einen Platz oder ein Objekt zubewege. Aber das Erleben sagt mir, dass ich immer an dem gleichen, nicht lokalisierbaren Ort des Erlebens bin, dass alle Dinge zu mir kommen. Ich gehe nicht zu ihnen. Was erlebt wird, kommt zu mir; ich gehe nicht zu dem, was erlebt wird. Ich bleibe ewig präsent in dem dimensionslosen, nicht lokalisierbaren Ort des Erlebens. Niemals irgendwohin gehend.

Niemals auf ein Objekt oder jemand anderen zugehend. Einfach reine Empfindsamkeit seiend, reine Offenheit, die jedem Erleben erlaubt zu sein, genauso wie es ist: Zu mir kommend, durch mich hindurch fließend, sich in mir auflösend. Aber ich, diese Offenheit, diese Verfügbarkeit, diese Empfindsamkeit, gehe niemals irgendwo hin.

Rupert Spira

Rupert Spira

Gedanken sagen, dass ich in ein Flugzeug einsteige. Aber das Erleben sagt mir, dass das Flugzeug in mich einsteigt. Mein einziges Wissen von diesem Flugzeug in diesem Augenblick ist eine visuelle Wahrnehmung, und diese Wahrnehmung kommt zu mir, entsteht in mir, findet in mir statt. Ich finde nicht in ihr statt.

Ich bin die Offenheit, die Leerheit, die reine Verfügbarkeit, die dieser Wahrnehmung erlaubt, stattzufinden. Der offene Raum, in dem sie erscheint und mit dem sie erkannt wird, und aus dem diese Wahrnehmung letztlich gemacht ist.

Die Gedanken sagen, dass ich in 9.000 Metern Höhe bin. Aber das Erleben sagt nichts dergleichen. Für das Erleben ist da eine Ansammlung von Anblicken, Geräuschen, Strukturen – von den Gedanken zusammengebunden, um eine Geschichte zu formen, die mein Erleben zu beschreiben scheint. Aber ich habe kein wirkliches Erleben davon, in 9.000 Metern Höhe in einem Flugzeug zu sein.

Ich habe kein Erleben davon, irgendwo zu sein. Alle Irgendwos sind aus mir gemacht, erscheinen in mir. Ich erscheine nicht in ihnen. Mein einziges Wissen von dem Inneren eines Flugzeugs ist die gegenwärtige Wahrnehmung. Mein einziges Wissen, in 9.000 Metern Höhe zu sein, ist eine Wahrnehmung plus ein Gedanke. Das Erleben kennt nichts dergleichen.

Ohne mich auf Erinnerungen zu beziehen, würde ich keine Vorstellung haben, dass ich in einem Flugzeug oder in 9.000 Metern Höhe in etwas genannt „Himmel“ war. All dies sind Konzepte, mit denen die Gedanken die unbearbeitete Intimität meines Erlebens überlagern. Die unbearbeitete Intimität meines Erlebens ist, dass ich mich immer – genau genommen, nicht immer in der Zeit, sondern ewig gegenwärtig jetzt – nicht an einem Ort befinde, sondern in der dimensionslosen Präsenz meines eigenen Seins.

Die Gedanken sagen, dass wir gelandet sind und uns mit einer enormen Geschwindigkeit bewegen. Aber ich, reines Erleben, weiß nichts dergleichen. Eine Abfolge von abstrakten, bedeutungslosen Wahrnehmungen fließt durch mich hindurch. Nur durch den Bezug zu Erinnerungen können die Gedanken diese abstrakten Bilder interpretieren und aus ihnen die Vorstellung von einer Landebahn, einem landenden Flugzeug, enormer Geschwindigkeit usw. machen.

Ich gehe nirgendwohin. Das Erleben hat für mich keine besondere Bedeutung. Es ist einfach was es ist von Augenblick zu Augenblick.

Und schließlich sagen die Gedanken, dass ich angekommen bin. Aber für das Erleben gibt es kein Ankommen, genauso wie es kein Weggehen gibt. Ich, diese offene Leerheit, diese reine Sensibilität und Verfügbarkeit, dieses leere bewusste Sein, gehe niemals irgendwohin. Ich verlasse niemals zu Hause. Ich komme niemals zurück nach Hause.

Ich bleibe einfach immer in mir selbst, als ich selbst, die Form des ganzen Spektrums des Erlebens annehmend, aber niemals etwas anderes werdend als ich selbst. Ich bleibe in mir selbst, als ich selbst, nur mich selbst kennend, nur ich selbst seiend.

Quelle: Rupert Spira „I Never Go Anywhere“, eigene Transkription und Übersetzung

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  1. Ingrid

    Lieber Ingo,

    wieder einmal vielen Dank für die Übersetzung :-). Ich hatte Ruperts Gedanken zwar schon einmal auf englisch gehört, aber da nicht so klar verstanden.

    Der Test erinnert mich wieder wunderbar daran, dass „ich“ das Zentrum bin – immer schon zu Hause … Vielen Dank!

    • Ingo Zacharias

      Ja, es ist ein immer wieder sich erinnern, wer bzw. was man (nicht) ist. Vielen Dank für deinen Kommentar.

  2. gudermuth

    Lieber Ingo
    vielen Dank für die Übersetzungen….mooji und Spira liegen mir sehr am Herzen

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