Ingo Zacharias

Freiheit des Jetzt

Vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität

Jeff Foster: In dem Raum sitzen, wo nichts geklärt werden muss

Es ist so wunderbar, einfach in diesem offenen Raum zusammen zu sitzen, wo nichts gelöst oder geklärt werden muss; wo wir nicht uns selbst heilen oder geheilt werden müssen; wo unsere Fragen nicht beantwortet werden müssen; wo unsere Fragen endlich einfach Fragen sein dürfen; wo unsere Unsicherheit nicht in Sicherheit transformiert werden muss; wo unseren Zweifeln endlich die Erlaubnis gegeben wird, einfach Zweifel zu sein.

Hier, in dieser warmen Umarmung die wir sind, in diesem Platz wahrer Meditation, ohne einen Meditierenden, ohne ein Ziel, ohne eine Kontrolleur, müssen wir keine Antworten finden, brauchen wir nicht zu einer geistigen Schlussfolgerung über das Leben kommen, brauchen wir nicht alles zu klären, weil endlich, endlich, unser Fragen und unser Unterwegssein, unser Versuch, alles zu schaffen und zu bewältigen, unser Suchen und unsere Verzweiflung, weil wir keine Antworten finden – all dem wird einfach erlaubt, hier zu sein, genauso wie es ist.

Dieser Ort, an dem nichts geklärt oder hingekriegt werden muss – er hat keinen wirklichen Standort, denn er ist, was du bist. Was du bist, braucht dieses gegenwärtige Durcheinander nicht in Ordnung bringen, ihm zu entkommen, es zu heilen, zu transformieren, transzendieren oder sogar los zu werden. Weil das, was du bist, völlig in Liebe mit diesem menschlichen Chaos ist, genauso wie der Ozean völlig in Liebe mit all seinen Wellen ist. Und “in Liebe sein mit” bedeutet hier einfach “untrennbar sein von”. Das ist die Essenz der Non-Dualität.

Der Ozean der du bist, dieser gewaltige, offene Raum des Bewusstseins, die weite und unbegrenzte Kapazität des Gewahrseins, ist tatsächlich all die Wellen, die in ihm erscheinen – all die Gedanken, Empfindungen, Geräusche, Gefühle, Gerüche, Farben, Bilder. Bewusstsein ist untrennbar von all dem, was “im” Bewusstsein entsteht, und das ist die eigentliche Definition von Liebe. Jeder Gedanke, jede Empfindung, jedes mögliche Gefühl, sie sind alle Kinder des Bewusstseins – metaphorisch, poetisch gesprochen. Sie sind alle deine Familie, sie sind dir alle tief vertraut (familiar). Sie sind alte Freunde.

Was du bist, hat schon JA gesagt zu diesem Augenblick

Erinnere dich: Da ist nicht ein Ding (der Ozean), dass ein anderes Ding (die Wellen) liebt – sie sind nicht zwei, sie waren es niemals. Allen Gedanken, Empfindungen, Gefühle wird schon zutiefst erlaubt, hier zu sein, in dem was du bist. Sie haben bereits einen Platz hier, genauso wie jede Welle schon einen Platz im Ozean hat, ohne dass ihr ein Platz gegeben werden müsste. Was du auf der tiefsten Ebene bist, hat schon JA gesagt zu diesem Augenblick, genauso wie er ist. Was du bist, braucht nichts von dem loszuwerden, was jetzt erscheint, weil es alles ist, was jetzt erscheint! Es braucht nicht (und kann nicht) dem hier zu entkommen, weil es das ist!

Genauso braucht der Raum, in dem du gerade bist, die Fliege nicht loszuwerden, die darin herumfliegt. Die Fliege kommt herein, die Fliege geht raus. Wir schlagen die Fliege tot und die nächste Fliege kommt herein. Wir schlagen diese Fliege tot und eine weitere kommt herein. Wo hören die Fliegen auf? Wann werden wir von den lästigen Gedanken und Gefühlen frei sein?

Aber erinnere dich: Der Raum selbst braucht die Fliegen nicht totzuschlagen. Der Raum sagt: “Kommt ihr Fliegen, da ist genug Raum für euch alle! Entspannt euch. Ihr seid frei zu fliegen!” Es muss also nichts durch den Raum beseitigt werden, der alles trägt. Die Fliegen können einfach Fliegen sein; die Fragen können einfach Fragen sein, die Zweifel können einfach Zweifel sein. Gedanken können einfach Gedanken sein, Gefühle können einfach Gefühle sein. Bewusstsein erlaubt allem, da zu sein – da ist immer genug Raum in dem Raum von dir.

Jeff Foster

Jeff Foster

So ist die Einladung – wie immer –, an diesem sehr kostbaren Ort von noch-nicht-alles-begriffen-haben zu sitzen. Wir verweilen einfach dort. Wir verweilen in dem Mysterium, das das Leben selbst ist. Wir verweilen staunend – nicht wissend, was zu tun ist, wie Dinge zu verändern sind oder was noch kommt. Und wir beginnen uns zu wundern, was “alles begriffen haben” überhaupt bedeuten würde, falls das möglich wäre.

Der weite Raum ohne Gegensätze

Was du bist – in diesem Augenblick – braucht diesen Moment nicht zu verändern oder zu bewältigen, oder? Es braucht nicht Unsicherheit in Sicherheit zu verwandeln, denn was du bist, trägt bereits die Unsicherheit. Sogar Unsicherheit wird in dem Raum von dir umarmt. Alle Gedanken, Empfindungen und Gefühle, die jetzt erscheinen, werden schon gehalten und umarmt in diesem riesigen, offen, weiten, grenzenlosen Raum, der du bist. Nichts in diesem Augenblick muss “erarbeitet werden”. Nichts muss hingekriegt werden. Nichts muss geläutert oder “durchgearbeitet” werden. Dieser Augenblick trägst bereits sich selbst – perfekt.

Was du bist, flüstert sanft: “Kommt, all ihr verängstigten Kinder, all ihr vernachlässigten Wellen im Ozean des Lebens. Kommt, Unsichertheit, Verwirrung, Angst, Zweifel. Es ist okay. Es ist sicher, hier zu sein in diesem Raum. Es gibt keinen Grund mehr, mich zu fürchten. Ich habe mich erinnert, wer ich bin. Ich werde euch nicht wieder ausgrenzen. Ich weiß, dass ihr ich selbst seid. Ich gebe euch euren rechtmäßigen Platz in mir.”

Was du bist, braucht den Zweifel nicht loszuwerden oder in Sicherheit zu transformieren, weil es Zweifel und Sicherheit nicht als Gegensätze ansieht. Der Ozean betrachtet keine seiner Wellen als Gegensätze. Da ist eine Welle des Zweifels, es ist nur eine Welle. Es ist nur Wasser. Da ist eine Welle der Sicherheit. Es ist nur eine Welle, es ist nur Wasser. Sie sind keine Gegensätze – sie sind Wasser. Im Kern sind sie dasselbe, auch wenn sie sich in ihrer Erscheinung unterscheiden. Da ist eine Welle der Freude, sie ist Wasser, sie ist Bewusstsein. Da ist eine Welle der Trauer, sie ist Wasser, sie ist Bewusstsein. Ärger, Angst, Begeisterung, Glückseligkeit, Frustration, sogar Verzweiflung – letztlich sind sie alle einfach ein Tanz des Wassers, des Bewusstseins. Und all diese Wellen sind seine geliebten Kinder – geliebt, selbst wenn sie erscheinen und sich daneben benehmen. Geliebt, immer. […]

Du kannst niemals verloren sein

Selbst wenn du dich völlig verlassen fühlst, ist das noch hier, dieser Ozean des Bewusstseins, der die Welle des Verlassenseins hereinlässt. Deshalb bist du niemals “der Verlassene”, selbst wenn da ein Gefühl von Verlassensein ist. Und was du bist ist niemals “der Verlorene”, selbst wenn da ein Empfinden von Verlorensein ist.

Tatsächlich bist du niemals “Dieser” oder “Jener”, du bist das Eine – Das-ohne-einen-Gegensatz, die weit offene Kapazität, die das Leben selbst ist. Du bist nicht “der Traurige” oder “der Glückliche”, “der Erleuchtete” oder “der Unerleuchtete”, “der Erfolgreiche” oder “der Gescheiterte” – du bist der undefinierbare, immer gegenwärtige Raum, der alles umfasst.

Selbst wenn da eine sehr intensive Welle, eine starke, heftige Welle ist – zum Beispiel eine Welle von Angst oder Schmerz oder Traurigkeit –, der Ozean, der du bist, ist immer noch vollständig präsent. Selbst wenn da ein Gefühl von totalem Verlorensein ist, der weit offene Raum, in dem dem Gefühl von Verlorensein erlaubt wird, zu entstehen, ist niemals verloren. Selbst das Gefühl von Verlorensein wird schon hier gehalten, es wird schon hereingelassen. Deshalb kannst du – wer du wirklich bist – niemals verloren sein, genau deshalb, weil es da ist, selbst wenn du dich verloren fühlst. Bewusstsein ist niemals verloren. […]

Das Wunder des Lebens ist, dass dieser Augenblick schon hier ist – diese Gedanken, diese Empfindungen, die Geräusche sind schon da. Dieser Moment ist schon genauso wie er ist. Das Wunder liegt in diesem “schon“. Und, lustig genug, das “schon” ist der letzte Ort, an dem der Suchende jemals nach Freiheit, nach Frieden, nach Ruhe suchen würde. Weil der Suchende Zeit ist, hat er kein Interesse an dem “schon”, das vor dem Aufkommen von Zeit ist. Der Suchende sieht das “schon” als tot, schlicht und einfach an. Der Suchende braucht eine Zukunft, um am Leben zu bleiben. Dieser Augenblick ist der Tod des Suchenden und deshalb interessiert ihn der Suchende nicht sehr. “So wie es ist” ist nicht besonders interessant für den Suchenden!

Die einzige Ruhe ist hier und jetzt

Wir sprechen über Menschen, die sterben, über Menschen, die ihr Leben verlieren, aber was am Todeszeitpunkt nur passiert ist, dass alles wegfällt, was nicht “schon” ist, oder zumindest das Wegfallen von der Illusion von allem, was nicht schon ist. Mit anderen Worten, es ist das Wegfallen der Illusion der Zeit, der Illusion, dass da ein getrennter Suchender ist, jemand, der nach etwas anderem sucht, jemand, der getrennt von etwas ist. Es ist eine Rückkehr zu einer tiefen Ruhe – einer tiefen Ruhe, die niemals wirklich abwesend war.

So kommen wir hervor aus dieser tiefen Ruhe, der tiefen Ruhe, die wir sind, und wir kehren zu ihr zurück. Ist jemals wirklich etwas passiert? Alles beginnt mit tiefer Ruhe und endet mit tiefer Ruhe und dazwischen ist dieses erstaunliche Spiel von “versuchen, zur Ruhe zu kommen”, und nicht so Recht zu wissen, wie! “Vielleicht werden ich eines Tages zur Ruhe kommen”, hofft der Suchende. Aber die einzige Ruhe ist hier und jetzt. Die einzige wirkliche Ruhe ist dieser Augenblick. Warum warten?

Von tiefer Ruhe zu tiefer Ruhe und dazwischen ist diese verweifelte und oft erschöpfende Suche nach etwas, das wir nicht einmal benennen können. Wissen wir, wonach wir schauen? Wann werden wir es finden? Waren wir jemals getrennt davon? Wollen wir wirklich, was wir denken, das wir wollen? Sehen wir uns nicht einfach nach Ruhe, nach der Ruhe von der ermüdenden Suche?

Deshalb geschieht in diesem einfachen Sitzen, allein oder zusammen, und nichts in die gewohnte Richtung tuend, eine ganze Menge. Wir sagen, Meditation ist “nichts tun”, aber in Wirklichkeit erscheint und vergeht eine ganze Welt hier. Still sitzend, nichts tuend, entsteht eine ganze Welt aus dir und kehrt in dich zurück. Aus dem Nichts, aus der reinsten Leerheit, sind hier Gefühle, Geräusche, Gedanken, Bilder, die Geschichte von einer Vergangenheit, sogar die Geschichte von der Erschaffung des Universums. Ja, sogar die Geschichte der Erschaffung des Universums wird in dir zugelassen! Da ist immer genug Raum hier. […]

Die Welle kann den Ozean nie erreichen

Deshalb vergiss es, zu versuchen, dich zu lieben; es ist hoffnungslos. Vergiss es, zu versuchen, dich zu akzeptieren; es ist hoffnungslos. Vergiss es, zu versuchen, dich zu retten; es ist hoffnungslos. An diesem Ort ist es nicht mehr nötig zu versuchen, dich zu lieben. Auf eine Art, die du nie verstehen oder in Worte fassen kannst, wirst du schon geliebt. Bedingungslos geliebt. In der Mitte deines Schmerzes, deiner Traurigkeit, deines Zweifels, deiner Verwirrung, deinem Mangel an dem, was du glaubtest zu brauchen, ist das, was du bist, immer hier. Umarmend, erlaubend, alles tragend.

Ja, der Suchende wird sogar geliebt in seinem Scheitern das zu finden, nach dem er sucht, genauso wie die Welle schon der Ozean ist, sogar in ihrem völligen Scheitern, den Ozean zu erreichen. Die Welle kämpft und kämpft den Ozean zu erreichen und sie ist dazu verurteilt zu scheitern, weil sie schon ist, was sie sucht, aber das noch nicht realisiert hat. Der Ozean trägt seine geliebte Welle, während die Welle damit kämpft, zu verstehen.

In diesem Scheitern der Suche liegt etwas Wunderschönes. Die Welle ist dazu verurteilt zu scheitern mit dem Versuch, den Ozean nicht erreichen. Sie braucht es nicht und sie kann es nicht, weil sie Das schon ist. Selbst in deinem Scheitern das zu finden, wonach du gesucht hast, was du glaubtest zu brauchen, trägt dich das, was du suchst, schon. Es trägt dich sogar, wenn du vollständig versagst. Das ist die Liebe, die unvorstellbar ist, über die nicht gesprochen werden kann, die jenseits aller Vernunft ist.

Weisheit und Liebe sind ein und dasselbe

Ich mag, was Nisargadatta Maharaj sagt: “Weisheit sagt mir, dass Ich nichts bin. Liebe sagt mir, dass Ich alles bin. Dazwischen bewegt sich mein Leben.” Weisheit, oder Klarheit, ist die Erkenntnis, dass du der Ozean bist, der riesengroße, offene Raum des Gewahrseins oder Bewusstseins (oder welches Wort auch immer du benutzen willst, denn Worte sind nicht wichtig an diesem Ort) vor der Form – das ist eine wunderschöne, tiefgründige Realisation.

Aber es hört hier nicht auf. Denn da ist immer Liebe – was die Erkenntnis ist, dass dieser weite offene Raum in Wirklichkeit untrennbar von allem ist, was erscheint, dass Leerheit nichts anderes als Form ist. Gewahrsein ist radikal untrennbar von allem, was im Gewahrsein erscheint. Es ist nicht Gewahrsein von Gedanken – Gewahrsein ist Gedanken. Es ist nicht Gewahrsein von Schmerz, Schmerz ist durchtränkt mit Gewahrsein, es ist aus Gewahrsein gemacht, es ist Gewahrsein.

Jede Welle ist aus dem Ozean gemacht und so kannst du schlussendlich noch nicht einmal über die Wellen und den Ozean sprechen. Du kannst noch nicht einmal über Gewahrsein und “alles, was im Gewahrsein erscheint”, sprechen. Aber vielleicht ist es eine hilfreiche temporäre Metapher, um auf das tiefere Verstehen hinzuweisen, dass die Erkenntnis von Weisheit und Klarheit völlig unvollständig ist ohne die Erkenntnis der Liebe. In Wirklichkeit sind sie ein und dasselbe. […]

Und die Erkenntnis des Ozeans ist unvollständig ohne eine tiefe Würdigung des Entstehens und Vergehens der Wellen. Das bedeutet, dass spirituelles Erwachen nicht eine Flucht vor den Wellen ist oder eine entkörperlichte Transzendenz von ihnen, sondern dass es eine völlige Liebe von ihnen ist, eine Untrennbarkeit von ihnen. Es ist eine wilde Liebesaffäre mit dem menschlichen Chaos, mit den unerledigten Dingen. Es ist die Entdeckung einer unbeschreiblichen Gnade innerhalb der unaufgelösten Durcheinanders, Mensch zu sein.

So werden unsere Fragen an diesem Ort hängen gelassen, es gibt keine Schlussfolgerungen, unsere Pläne mögen oder mögen nicht erfüllt werden und unsere niemals endende Geschichte ist vollständig ungelöst. Und doch, und doch, da ist dieser sehr lebendige, sehr stille, sehr verlässliche, sehr friedvolle Raum tiefer Ruhe in der Mitte von all dem, und das ist unser wahres Zuhause – und es braucht nie verstanden zu werden.

Quelle: Jeff Foster „Sitting In The Unresolved – The True Meditation“, Auszüge, eigene Übersetzung

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  1. Ingrid

    Lieber Ingo,

    vielen Dank für die Übersetzung dieser inspirierenden Gedanken. Ich habe mich zwischendurch besonders gefreut, dass der Text nicht so schnell zu Ende war. Jeffs Worte erinnern mich wieder an das Wesentliche und haben mich sehr berührt.

    Da mein Englisch nicht so gut ist, bin ich doppelt dankbar für deine Übersetzung, sonst hätte ich es nie gelesen.

    Vielen Dank dafür und herzliche Grüße
    Ingrid

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