Ingo Zacharias

Freiheit des Jetzt

Vom Gedanken-Ich zur Präsenz-Identität

Das leere Ich

Ich erlebe.
Ich handle.
Ich denke.
Ich fühle.
Ich sehe.
Ich höre.
Ich gehe.

Das ist die ganz normale Art, wie wir unser alltägliches Leben beschreiben. Und wenn ich dich frage, „Wer oder was ist denn dieses ICH, das erlebt, handelt, fühlt und denkt?“, wirst du wahrscheinlich spontan antworten, „Ja, ICH halt. ICH, mit diesem Körper hier und mit dieser ganz eigenen Lebensgeschichte und Sicht auf die Welt.“ Und vielleicht zeigst du dabei mit dem Finger auf dich selbst.

Damit scheint die Sache klar. Aber: Wer oder was denkt den Gedanken „Ja, ICH halt“? Wo ist das ICH zu finden, das sich als ICH bezeichnet? Außerhalb dieses Gedankens?

Dass sich der Körper ständig verändert, ist uns – zumindest theoretisch – klar. Und auch, dass die Gedanken und Gefühle einem ständigen Kommen und Gehen unterliegen. Manche Gefühle oder Gedankengeschichten mögen oft wieder auftauchen, aber selbst dann: irgendwann sind sie wieder verschwunden und andere Gefühle und Gedanken sind da.

Also bleibt die Frage: Wer oder was ist also dieses ICH, das sich im Zeitverlauf als konstanten ICH-Denker, ICH-Handelnden, ICH-Fühlenden empfindet?

Wenn du genau auf diesen Moment schaust, auf das Jetzt-Erleben, auf das Jetzt-Handeln, sogar auf das Jetzt-Denken „Ja, ICH halt“, wirst du dahinter … nichts finden.

Einfach NICHTS!

Da ist einfach nur das, was jetzt ist, das Erleben, das Handeln, sogar das Erzählen von dem eigenen Leben – aber da ist kein separates, kein eigenständiges ICH zu finden, von dem all das ausgeht oder zu dem etwas hingeht.

© flickr.de / Michael Gwyther-Jones

Trügerisches Sein © flickr.de / Michael Gwyther-Jones

Das Ich ist wie eine Fata Morgana. Es ist ganz klar da, solange du es nicht genauer betrachtest. Aber wenn du ganz genau danach suchst, löst es sich in Luft auf. Puff! Einfach nicht(s) zu finden!

Manche nennen dieses Nichts dann reines Bewusstsein, Präsenz oder offenen Raum. Das ist in Ordnung. Die Gefahr dabei ist aber, wieder ein Ding, ein separates ETWAS einzuführen – zwar kein ICH wie bisher, jedoch etwas anderes scheinbar Greifbares. Und genaus das ist es nicht. Da ist nichts Greifbares!

Hinter dem, was jetzt ist, was jetzt wahrgenommen wird, ist einfach nur NICHTS.

Und wenn das immer klarer gesehen wird, verschwindet jegliche Bedrohung im Leben. Denn wer könnte dann verletzt oder enttäuscht werden? Gefühle von Verletzung oder Enttäuschung mögen auftauchen, aber durch das klare Sehen, dass dahinter kein ICH zu finden ist, das Besitzer dieser Gefühle ist, gehen diese Gefühle auch schnell wieder vorbei.

Das Leben geht ganz normal weiter. In all seiner Fülle und Verschiedenartigkeit des Jetzt-Seins.

Erleben, Handeln, Agieren. Jetzt. Selbst deine persönliche Geschichte, deine persönlichen Vorlieben und deine ganz eigene Art und Weise zu leben bleiben erhalten. Als etwas, das jetzt geschieht.

Und zugleich ist da jetzt eine große Leichtigkeit, eine Unbeschwertheit, in dem intuitiven Wissen, dass dieses Ich letztlich leer ist – leer von einem personalen Ich-Zentrum, leer von einem pesonalen Ich-Steuermann, leer von einem personalen Ich-Besitzer, der im Leben handelt und dem das Leben geschieht.

PUFF!

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  1. Tomislav Krajacic

    Na ja, der Text ist nicht schlecht. Vor zwei Jahren (habe mich mit sämtlicher asiatischer Philosophie beschäftigt, Krishnamurti, Eckhart Tolle, T. D. Suzuki… und vielen vielen anderen) hätte ich auch brav genickt.

    Aber wenn dieses ICH, das nicht existiert, durch Krankheit, extrem starke Schmerzen verspürt, dann denke ich, ist es schwierig dies als Illusion abzuwerten.

    • Ingo Zacharias

      Ist im DIREKTEN Erleben von Schmerzen o.ä. ein separates Ich zu finden? Schau genau hin: WER verspürt die Schmerzen – hier, jetzt, im Augenblick des Schmerzes? – Danke für deinen Kommentar.

      • Tomislav Krajacic

        Da ist nur Schmerz. Kein ICH dass diese Schmerzen empfindet. Stimmt.

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